Vier Generationen unter einem Dach: Die Jüngste ist vier, der Älteste 95. Kann das gut gehen? Vor vier Jahren zieht Lorenz Wagner mit Frau und Kind in das Haus seiner Schwiegermutter und ihrer Eltern ein. In seinem Buch „Zusammen ist man weniger alt“ beschreibt der Autor, wie es anfangs knirscht – und warum er sich heute kein besseres Lebensmodell vorstellen kann.
Sechs Menschen aus vier Generationen in einem Haus – das stellt man sich vor allem in der Corona-Krise anstrengend vor.
Das hat uns auf die Probe gestellt. Immerhin haben wir drei Familienmitglieder im Haus, die zur Risikogruppe gehören. Wir haben ständig aufgepasst und versucht, uns aus dem Weg zu gehen. Dabei waren Opa Willi und Oma Helga mit 95 und 85 noch die entspanntesten. Aber mit dem großen Garten hatten wir Riesenglück. Und es gab keine Einsamkeit im Haus.
Wie kommt es denn zu so einer Konstellation?
Das haben die Mütter unter sich ausgeklügelt. Meine Frau Franziska wollte nicht, dass unsere Tochter Sophia in der Stadt aufwächst. Ihre Großeltern und ihre Mutter leben in einem Haus auf dem Land, wir waren immer gern dort. Ihre Mutter Susanna hat angeboten, uns ihre Dachwohnung zu überlassen und selbst in ein unteres Zimmer zu ziehen. Und Oma Helga war froh darüber, ihre Urenkelin bei sich zu haben.
Und das Zusammenleben hat gleich funktioniert?
Wir mussten uns stark aneinander anpassen. Jeder hat zwar seine eigene Küche. Aber es ist nicht so leicht, ein Haus zu teilen. Wir mussten unser Leben in Einklang bringen. Das haben wir geschafft. Erst als die Pandemie und der Winter kamen, wurden die Monate plötzlich sehr lang.
Inwiefern?
Ich war im Homeoffice und auch meine Frau war als Musikerin zu Hause. Sophia war nicht im Kindergarten. So viel Zeit haben wir noch nie zusammen unter einem Dach verbracht. Und dann wurde es auch mal stressig. Sophia musste sich austoben, aber Opa Willi wohnt direkt unter uns und wollte in Ruhe fernsehen. Wir haben für alles Lösungen gefunden, aber einfach war das nicht. Am Ende haben die Vorteile überwogen. Oma Helga hat gesagt: Es war in der Pandemie unser Glück, dass ihr da wart. Sie hat ihre anderen Kinder über Monate hinweg nicht gesehen. Auch wir wären niemals zu Besuch gekommen.
Die kleine Sophia war der Grund, weshalb Sie sich für dieses Modell entschieden haben. Wie haben Sie davon profitiert?
Wenn man mit so vielen Generationen zusammenlebt, bekommt man eine ganz andere Sicht auf das Älterwerden. Ich habe mit Opa Willi viel intensivere Gespräche geführt, als es bei Besuchen der Fall gewesen wäre. Und Dinge erfahren, die mich tief berührten. Dass er so gerne noch mal in den Urlaub fahren würde, es aber nicht mehr kann. Oder dass er seinen geliebten Garten nicht mehr pflegen kann. Einmal haben wir ihm zu Weihnachten Kreuzworträtsel geschenkt. Und mussten feststellen, dass er dafür nicht mehr gut genug sehen konnte. Da ist mir klar geworden: Das wird fast jedem von uns passieren.
Das ist unvermeidlich.
Das wollte ich doch genauer wissen. Ich habe mir bei der Caritas einen Altersanzug geliehen. Der soll Pflegekräften helfen, sich einzufühlen. Darin kann man die Finger nicht mehr frei bewegen, überall hängen Gewichte, an den Beinen, am Rumpf. Eine Brille lässt einen schlechter sehen, Ohrenstöpsel schlechter hören. Man fühlt sich wie 80. Nach zwei Stunden hat es mir gereicht. Ich konnte Sophia kaum ein Butterbrot schmieren. Mir war klar: So will ich mich niemals fühlen. Also habe ich angefangen, mich mit mehreren Forschern zu unterhalten. Zum Beispiel mit David Sinclair, einem Harvard-Professor. Er entwickelt Medikamente gegen das Altern.
Das klingt unnatürlich.
Es geht um bestimmte Moleküle. Sie setzen in den Zellen Abläufe in Bewegung, als würde man fasten oder Sport treiben – also die beiden natürlichen Wege, um jung zu bleiben. Sie aktivieren die Gene, die einen gesünder altern lassen. Es geht ja nicht darum, das Leben zu verlängern. Sondern darum, die Gesundheit zu verlängern. Da habe ich verstanden: Man behandelt schon so lange Alterskrankheiten wie Krebs, Diabetes oder Alzheimer. Aber mittlerweile fängt die Forschung an, das Altern an sich zu behandeln.
Mit diesen Molekülen?
Es gibt verschiedenr Ansätze. Zum Beispiel auch Stammzelltherapien, mit denen man Sehnerven-Zellen nachwachsen lassen kann. Oder Metformin, ein Diabetes-Medikament. Eine Studie mit 41 000 Menschen ergab: Es schützt vor Gebrechlichkeit und verringert die Gefahr von Demenz, Depressionen, Herzkrankheiten und Krebs.
Haben Sie etwas davon ausprobiert?
Wir haben die Moleküle ausprobiert. Helga und Susanna haben sie geschluckt. Susanna hat sich fitter gefühlt, konnte mehr joggen und hatte keine Gelenkschmerzen mehr. Helga hat keine Veränderung gespürt – allerdings meinte sie, dass sie mit der Einnahme nicht konsequent war. Ich empfehle, vor einer Einnahme mit seinem Arzt zu sprechen.
Wie stehen Sie jetzt zum Altern?
Ich bin viel klüger als an dem Tag, an dem wir eingezogen sind. Die Medizin sagt dem Altwerden den Kampf an, aber noch ist die Forschung nicht ausgereift. Vieles wird noch an Mäusen getestet. Es gibt aber einen anderen Weg, um jung zu bleiben. Die kleine Sophia und der alte Willi – die beiden halten hier alles zusammen. Als wir eingezogen sind, ist Willi aufgeblüht. Plötzlich ist da dieses kleine Kind, das ihn auf Trab hält, das mit ihm Flöte spielen will. Und ihn so oft zum Lachen bringt. Die beiden brauchen sich. Von so einem Lebensmodell können viele Familien profitieren. Interview: Kathrin Braun