Waldkraiburg – Eindringlich und treffend bringt das „Alte Schauspielhaus Stuttgart“ den „Tod eines Handlungsreisenden“ auf die Bühne des Haus der Kultur in Waldkraiburg. Ein Ur-amerikanisches Stück von Arthur Miller, ein Klassiker der Bühne seit 1949, Pulitzerpreisträger und beliebte Lektüre in den Klassenzimmern.
Die Inszenierung, die am vergangenen Samstag das Publikum im gut gefüllten großen Saal in Waldkraiburg beeindruckte, schafft es zwar nicht, einen neuen Blick auf das Stück zu eröffnen, ging aber tief unter die Haut. Das war vor allem dem exzellenten Spiel von Jonas Baeck als Sohn Biff Loman zu verdanken, der im Streit mit seinem Vater Willy alle Register der Wut und Verzweiflung zieht. Dass das Ende, der Selbstmord von Willy, auf der Bühne vorweggenommen wird, tut der Tragik der Geschichte keinen Abbruch.
Willy, einstmals erfolgreicher Gutverdiener im Verkauf, stolzer Vater zweier kraftstrotzender Söhne und Ehemann einer schönen Frau, die ihn vergöttert, ist am Ende seiner Kräfte. Sein Beruf erschöpft ihn, seine Frau versteht ihn nicht mehr, den einen Sohn ignoriert er, den anderen versteht er nicht mehr. Dreh- und Angelpunkt des Konflikts zwischen Willy und seinem älteren Sohn Biff ist eine Affäre des Vaters, hinter die Biff vor einigen Jahren gekommen ist und die seinen Glauben an den Vater, aber auch alles, was der ihm versuchte, zu vermitteln, zerstört hat. Mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs, ohne Frau und festen Wohnsitz ist er der Gegenentwurf dessen, was sein Vater aus ihm machen wollte. Da Erfolg Willys einzige Lebensgrundlage, die einzige Nahrung für sein Selbstwertgefühl ist, stürzt er sich in Tagträume von einer besseren Vergangenheit, in Wahnvorstellungen und lebt zunehmend in seiner eigenen Welt.
In Rückblenden, die dem Publikum durch unterschiedliche Kleidungsstile der Figuren gut unterscheidbar sind, springt die Handlung bis in die Jugend von Biff und Willys jüngerem Sohn Happy zurück, als alles besser war. Alles für den Erfolg, alles wird entschuldigt, nur beliebt sollen die Söhne sein, man muss gekannt werden, man muss wer sein. „Wenn ich nach Boston komme, da musst du nur meinen Namen nennen, und schon stehen dir alle Türen offen!“ prahlt Willy. Als Biff ihm nach Boston nachreist und mit der Geliebten erwischt, beginnt sich die Abwärtsspirale zu drehen.
Er und sein Bruder haben den American Dream verpasst, der immer mehr zur leeren Hülse wird. Aus dem Off, in Willys Kopf, in seinen Erinnerungen dröhnt zwischendurch immer wieder die Stimme seines Bruders, der es geschafft hat, der reich wurde und der Willy endlich auf seine letzte Reise in den Tod lockt.
Die Inszenierung von Harald Demmer zeichnet die Eskalationskurve bis hin zum Selbstmord akribisch nach, geht seinen Figuren auf den Grund. Die Stimmen dieser Figuren vermischen sich, überlagern sich, im Streit, in Willys Kopf, zum Ende hin immer lauter und schriller. Die Tatsache, dass sie sich am Ende nicht mehr verstehen, aber sich dennoch lieben, wird in diesem Geschrei überdeutlich. Wunderbar plappernd, „hausfrauisch“ unterwürfig und doch mit dieser mütterlichen Stärke verkörpert Stephanie Theiß Willys Frau Linda, die ihm bis zum Schluss die Stange hält, sogar gegen ihre Söhne, die sie dennoch liebt. Schauspielerisch herausragend ist Jonas Baeck als Biff, der glaubwürdig und intensiv alle Konflikte mit seinem Vater als desillusionierter Jugendlicher und als Anti-American-Dream im Erwachsenenalter bis auf den Grund auslotet. Weder seine Liebe zum Vater, noch seine Verletzlichkeit im Moment der Entdeckung, noch seine Wut am Ende wirken aufgesetzt. Man nimmt ihm den Biff vollkommen ab. Helmut Zierl als Hauptfigur wirkt gegen dieses eindringliche Spiel manchmal, gerade zu Anfang, ein wenig blass. Nun soll die Figur des Willy ja durchaus blass und erschöpft sein. Der erfolgreiche Mittvierziger ist aber ein viel redender Witzereißer, ein Verkäufertyp eben. Diese vergangene Seite von Willy kommt nicht immer durch. Der blutleere abgehalfterte Gescheiterte scheint bereits durchzuschimmern.
Das Bühnenbild hat Oliver Kostecka sehr nah an der im Original beschriebenen Szene gehalten, die Küche mit den Stühlen und dem Eisschrank, die etwas beengte Nachbarschaft, das einstmals neue, jetzt aber abgenutzte Interieur. Der Vorhang vor dem Zimmer, der bei Bedarf vorgezogen werden kann, hat in den Wahnvorstellungen und Erinnerungen Willys einen schönen Effekt, der es dem Regisseur möglich machte, klar zwischen Handlung und Sequenzen zu unterscheiden, die nur in Willys Kopf passieren. „Ich habe es vor Jahren gelesen, aber ich glaube, ich habe es erst jetzt richtig verstanden“, sagte eine Besucherin im Anschluss. Eine Inszenierung, die mit Sicherheit nicht nur ihr unter die Haut gegangen ist.