„Es gibt verschiedene Heimaten“

von Redaktion

Interview Ernst Schusser, Leiter des Volksmusikarchivs, spricht über musikalische Integration

Mühldorf/Bruckmühl – Volksmusik kann helfen, den Menschen in Bayern eine Heimat zu geben. Davon ist Ernst Schusser, Leiter des Volksmusikarchivs in Bruckmühl, fest überzeugt. Im Gespräch mit der Heimatzeitung spricht er über Volksmusik, Migration und Einflüsse aus anderen Ländern.

Herr Schusser, was hat Volksmusik mit Migration und Integration zu tun?

Volksmusik hat immer mit Integration zu tun. Nicht nur von Migranten, sondern allgemein von Menschen. Volksmusik ist für mich im Wesentlichen das Selber-Tun, nicht das Zuhören. Dabei kommt man mit Menschen aller Kulturen am besten zusammen. Das müssen wir als Einheimische noch mehr lernen: dass Musik einen sozialen Faktor hat. Musik kann ein wunderbares Mittel sein, auch Menschen, die aus anderen Heimaten kommen, in einer sozialen Gruppe zu integrieren. Man kann in Toleranz die eigene Musik, und die Musik, die zum Beispiel ein Syrer oder ein Türke mitbringt, nebeneinander stehen lassen. Es geht um gegenseitige Wertschätzung.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir hatten im Oktober in Bruckmühl einen Abend, bei dem wir Migranten gebeten haben, zu kommen und mit uns zu musizieren. Da war eine Frau aus Nigeria dabei, die ein wunderbares Lied aus ihrer Heimat gesungen hat.

Was gab’s für Reaktionen?

Sie hatte ihren Sohn dabei, der war nicht begeistert, dass seine Mutter gesungen hat. Meine Kinder haben sicher auch nicht gut gefunden, dass ich in der Öffentlichkeit Lieder gesungen hab – das ist hier also nicht anders. Singen kann positiv oder negativ bewertet werden. Es hat Zeiten gegeben, da hat man gesagt, Volksmusik, bäh! Diese Zeit wird wieder kommen, davon bin ich überzeugt.

Können Sie sich vorstellen, dass die bayerische Volksmusik Einflüsse aus den Kulturen der Zuwanderer mitnimmt?

Ich kann mir in der Volksmusik sehr, sehr viel vorstellen. Nicht-bayerische Elemente haben die bayerische Volksmusik unheimlich beeinflusst. Nach 1945 haben wir zum Beispiel Einflüsse der Musik aus dem Sudetenland oder die Egerländer Musik. Die Flüchtlinge haben die darniederliegende Blasmusik in manchen Dörfern wieder aufgepeppt. Noch weiter in der Vergangenheit haben wir das Schlagwerk der Türken übernommen. Wie viel von Neuem bleibt, ist eine Frage der Nachhaltigkeit. Es gibt heute viele Gruppen, die „Mischmusik“ machen, wie die Cubaboarischen.

Wie kann die Volksmusik helfen, Menschen in Bayern eine Heimat zu geben?

In einer Realschule gab es auf unsere Initiative hin eine Aktion, bei der die Kinder die Instrumente ihrer Heimat mitbringen sollten. In der Klasse waren zu 50 Prozent Schüler mit Migrationshintergrund. Die Lehrer waren überrascht, was die Schüler alles mitgebracht haben, da waren offensichtlich Instrumente im Fluchtgepäck. Sprache mag ein Hindernis sein. Man kann aber unseren Landler-Rhythmus oder auch den Zwiefachen klatschen und dazu mit Unsinnssilben versehen. Im Musizieren öffnen sich die Menschen, auch für die Musik in Bayern. Es ist wichtig, über den Tellerrand zu schauen: In der Verbindung mit dem Fremden entdeckt man außerdem das Eigene wieder. Es gibt verschiedene Heimaten – achtet man die nicht, achtet man die Menschen nicht.

Interview: Kathrin Brack

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