Musikalisches Erinnern mit Kompositionen gegen den Krieg

von Redaktion

Klangzeiten und Zeitenklänge in der Schlosskirche Jettenbach – „Dona nobis pacem“ gemeinsam gesungen

Jettenbach – Die renommierte Pianistin Eva Barbarino ist keine Unbekannte in der Schlosskirche St. Vitus in Jettenbach. Regelmäßig trat sie in den vergangenen Jahren bei Konzerten des Heimat- und Kulturkreises mit verschiedenen Programmen, Instrumenten und Besetzungen auf. Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes und in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „erinnern45“ hatte sie nun ein ganz besonderes Programm zusammengestellt: Auf dem Programm standen Kompositionen gegen den Krieg, für die Opfer von Krieg und Gewalt, verbotene Klänge während der NS-Zeit, Werke von jüdischen Komponisten und Kompositionen im Gedenken an KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter sowie an Kriegsopfer, Kriegsversehrte und Vertriebene.

Dabei entstand eine besondere musikalische Vielfalt, von Johann Sebastian Bach bis Hindemith und Eric Satie, von Beethoven bis zu dem in Donezk in der Ukraine geborenen Kriegsgegner Sergej Prokofjew. Mit dem vierten Satz seiner Klaviersonate Nr. sechs eröffnete die Pianistin ihr Konzert.

Eine darauffolgende Serenade, die Victor Ullmann, geboren im heute tschechischen Teschen im KZ Theresienstadt, schuf, basiert auf einem tschechischen Kinderlied und vermittelt fast heitere Stimmung. Ulrike Zöller, die mit ihren Texten zu den Werken eine Verbindung zu unseren heutigen Erinnerungen und Gedanken an diese Zeit schuf, fragte sich, wie ein Künstler in einer solchen Situation dermaßen heitere Musik schaffen könne.

Ullmann und anderen Komponisten in Theresienstadt sei durchaus bewusst gewesen, dass sie nicht mehr lange zu leben hätten: So versuchten sie, so viel wie möglich der Nachwelt zu erhalten, der Entwürdigung durch die NS-Schergen mit Kreativität zu trotzen. Wie Ullmann entstammten auch die Geschwister Fanny und Felix Mendelssohn jüdischen Familien; Felix Mendelssohns Werke waren somit in der NS-Zeit mit einem Aufführungsverbot belegt. Fanny Hensel-Mendelssohn als weibliche Komponistin war damals unbekannt. Ihr „Frausein“ rettete sie quasi vor dem Aufführungsverbot, so Ulrike Zöller. Eva Barbarino bewies gerade in der Interpretation dieser Werke ihre Feinfühligkeit, Stimmungen herauszuarbeiten, im „Frühlingslied“ aus „Lieder ohne Worte“ von Felix Mendelssohn und „Mai“ und „September“ aus dem Zyklus „Das Jahr“ von Fanny Hensel. Glück und Schwermut, Wut und Verzweiflung, Trost und Trotz: Die Pianistin verlieh jedem einzelnen Ton Charakter, lebte gleichsam in der schweren Zeit, in der auch die Musik von Paul Hindemith als „entartete Kunst“ verboten war. Sein „Foxtrott“ aus dem Zyklus der Nacht trotzte mit seiner rhythmischen Leichtigkeit der Schwere des Themas Krieg und Vertreibung.

Den letzten Teil des Konzerts „Klangzeiten und Zeitenklänge“ widmete die Pianistin der Zeit kurz vor und kurz nach dem Krieg, in der im Landkreis Mühldorf französische, polnische und ungarische Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge härteste Arbeit verrichten mussten. Ihnen setzte Eva Barbarino einen musikalischen Gedenkstein mit Werken von Bela Bartok, Eric Satie und Frederic Chopin. Teils kontrapunktisch zu diesem schweren Thema versetzte sie dabei das Publikum in unterschiedliche Stimmungen zwischen Eric Saties Leichtigkeit und Bartoks bäuerlich-statischen Klängen. Auch hier war Eva Barbarinos Stärke, das Miterleben der Musik, deutlich zu spüren.

Ihre Virtuosität und ihre Kreativität bei der Programmauswahl bewies sie noch einmal zum Staunen des Publikums mit einem Prelude für die linke Hand von Alexander Skrjabin, im Angedenken an jene Kriegsopfer, die „verletzt an Körper und Seele“ (Zöller), aus dem Krieg heimkehrten.

Das Konzert für den Frieden beendete Eva Barbarino mit Werken von Bach. Das Choralvorspiel zu „Jesu bleibet meine Freude“ beschloss ein aufwühlendes und musikalisch anspruchsvolles Programm.

Mit warmem Applaus und dem gemeinsam gesungenen Kanon „Dona nobis pacem“ löste sich die Spannung, ging in ein Gemeinschaftsgefühl auf – und in das Bewusstsein der nicht allzu vielen Zuschauer, einem besonderen Ereignis beigewohnt zu haben. cg

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