Mühldorf – Der kleine Ahmad ist schon ein perfekter Gastgeber. Er serviert Tee, schält Bananen und achtet genau darauf, dass es den Besuchern an nichts fehlt. Als alle ein Glas Wasser haben, gesellt er sich zu der Männerrunde und übersetzt. Ohne den zwölfjährigen Dolmetscher wäre es ein kurzes Interview geworden.
So aber wird es zu einem besonderen Gespräch; zu einer gemeinsamen Erinnerung an das, was sich keine 24 Stunden zuvor hier abgespielt hat. „Eigentlich hatten wir uns am Samstag getroffen, um zusammen ein bisschen zu feiern“, erzählt Ahmads Vater Yania AlThawini. Der Grund: „Im Briefkasten lag unser Bescheid, dass wir in Deutschland bleiben dürfen. Deshalb hatten wir ein paar Freunde eingeladen. Wir redeten, tranken Tee und spielten Karten.“
Nur Hosam Almasri verspätete sich. Als er gegen 21 Uhr zu Fuß in die Von-der-Tann-Straße einbog, sah er im Haus gegenüber Rauch an einem Balkon: „Als Erstes rief ich meine Freunde an. Sie sollten sofort kommen und die Feuerwehr alarmieren. Dafür reicht mein Deutsch einfach nicht.“
In der Wohnung der AlThawinis ging alles ganz schnell. Azam El Sayed Ahmad wählte die 112, Omar Waez, Mahmoud Mura und Anas Asad machten sich sofort auf den Weg. „Da war keine Zeit zum Nachdenken, man hat ja schon die Flammen in den Fenstern gesehen.“
Die Männer rannten über die Straße, hinein in das Mehrfamilienhaus. Während Almasri unten an der Eingangstür alle Klingeln drückte, nahmen Waez, Mura und Asad Stufe um Stufe. „In jedem Stockwerk haben wir an die Türen gehämmert und laut geschrien. Das Treppenhaus war ja schon voller Rauch“, erzählt Mura. Die drei Syrer zogen sich die Jacken vors Gesicht, um besser atmen zu können und trafen im zweiten Obergeschoss auf einen Mann, der verzweifelt gegen die Wohnungstür seiner Mutter klopfte. „Auch die Nachbarin hat gesagt, dass in der Wohnung eine alte Frau lebt.“
Omar Waez und Mahmoud Mura zögerten kurz, dann traten sie die Türe ein. „Im ersten Moment war nichts zu erkennen, alles war dunkel, überall schwarzer Rauch“, erzählen sie. Mit Hilfe ihrer Handytaschenlampen durchsuchten die Männer die Wohnung – und fanden die 94-Jährige, die auf dem Boden in einem Zimmer lag. „Ich kann noch nicht einmal sagen, ob es die Küche war, da war einfach nichts zu sehen“, sagt Waez. Mit vereinten Kräften zogen die Syrer die bewusstlose Frau in den Flur. „Wir dachten, dass es schon zu spät ist, sie hatte schlimme Brandverletzungen am Kopf.“
Gemeinsam mit dem Sohn beatmeten sie die 94-Jährige, aus der Nachbarwohnung kam ein Eimer Wasser. „Als wir der Frau ein nasses Handtuch auf das Gesicht legten, begann sie plötzlich zu husten.“ Ein Lebenszeichen, immerhin.
Unterdessen breitete sich das Feuer immer weiter aus, die frische Luft aus dem Treppenhaus hatte es weiter angefacht. Waez und Mura trugen die Frau hinunter, vor dem Haus trafen die Polizei und wenig später die ersten Rettungskräfte ein.
Die 94-Jährige kam – wie berichtet – mit dem Hubschrauber in eine Spezialklinik, auch die Retter begaben sich in ärztliche Behandlung. „Wir hatten alle Probleme beim Atmen, deshalb waren wir im Krankenhaus“, schildert Waez. „Alles ist gut, nichts Schlimmes. Nur noch ein wenig Husten. Aber das vergeht.“