Aus dem Amtsgericht

Bewährungsstrafe für Todes-Raser

von Redaktion

Muss ein Mann, der mit Tempo 140 bei erlaubten 60 einen tödlichen Unfall verursacht, ins Gefängnis? Oder hat er eine Bewährungsstrafe verdient? Am Ende entschied sich das Schöffengericht für die Bewährungsstrafe.

Mühldorf – 15 Zeugen, zwei Gutachter, acht Stunden Verhandlung. Und ein Urteil, das für Gesprächsstoff sorgen wird. Dabei stand die Schuldfrage nie zur Debatte. Denn Schuld hat ein heute 22-Jähriger aus dem Landkreis, der im Mai 2016 zwischen Waldkraiburg und Mühldorf einen tödlichen Unfall verursachte, bei dem ein 84-Jähriger ums Leben kam und eine Frau verletzt wurde. Der junge Mann war mit 140 Kilometern pro Stunde auf der kurvenreichen Strecke unterwegs, die auf 80 beschränkt ist. Am Unfalltag galt wegen des Einsatzes eines Mähfahrzeugs sogar Tempo 60. Für den BMW-Fahrer kein Grund, seinen rasanten Fahrstil anzupassen. Ein fataler Fehler.

Hinter dem Mähfahrzeug hatte sich ein Stau gebildet. Als der BMW-Fahrer das Stauende nach einer Rechtskurve bemerkte, bremste er mit aller Kraft. Laut Gutachter versagte das Anti-Blockier-System (ABS) und der Wagen rutschte mit voller Wucht in den Gegenverkehr. Der 84-Jährige am Steuer eines Dacia hatte keine Chance. „Wenn überhaupt, blieb ihm nur eine einzige Sekunde Zeit, um die Gefahr zu erkennen“, hieß es.

Zudem machte der Verkehrsgutachter zwei entscheidende Aussagen. Zum einen: „Hätte das ABS funktioniert, wäre der Unfall so nicht passiert. Selbst bei Tempo 140 wäre die Kurve machbar gewesen und es hätte wohl nur einen Auffahrunfall am Stauende gegeben.“ Zum anderen: „Bei 80 Stundenkilometern wäre er in jedem Fall rechtzeitig zum Stehen gekommen.“

Bewährung: Was spricht dafür?

Das Schöffengericht um Richter Dr. Christoph Warga ließ sich die Situation umfassend aus verschiedenen Blickwinkeln schildern. Neben Autofahrern sagten Polizisten, die verletzte Frau sowie der Lenker des Mähfahrzeugs aus. Als würde die Zeit zurückgedreht und man die entscheidenden Minuten auf dieser Strecke im Zeitraffer noch einmal erleben. Alles mündete letztlich in die Frage: Kann die Freiheitsstrafe von 16 Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden?

Bewährung: Was spricht dagegen?

Gegen die Bewährungsstrafe spricht vor allem die Schwere der Schuld. Wer mit Tempo 140 bei erlaubten 60 Stundenkilometern unterwegs ist, nimmt im schlimmsten Fall den Tod eines Verkehrsteilnehmers in Kauf. „Hinzu kommt, dass wir hier einen unbelehrbaren Fahrer vor uns haben“, argumentierte die Staatsanwaltschaft. Zwei Fahrverbote nach extremen Geschwindigkeitsüberschreitungen im Vorfeld hätten bei dem jungen Mann offensichtlich nichts bewirkt. Zeugen bestätigten zudem die aggressive Fahrweise des Angeklagten im Alltag. „Es war nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem schweren Unfall kommt“, sagte der Nebenkläger, der die Witwe des Unfallopfers vertrat.

Mit Blick auf den zeitgleichen Raser-Prozess in Köln (siehe Infokasten) hob die Staatsanwaltschaft heraus, dass eine Bewährungsstrafe in der Öffentlichkeit als unangemessen empfunden werde. In seinem Plädoyer folgte der Staatsanwalt außerdem der Einschätzung des psychiatrischen Gutachters, der ein Urteil nach Erwachsenenstrafrecht als angemessen bewertete.

Dem widersprach die Verteidigung: „Natürlich trage die Tat jugendtypische Züge.“ Eine Einschätzung, der letztlich auch das Schöffengericht folgte. „Wer in einem aufgemotzten BMW, den er sich eigentlich gar nicht leisten kann, durch die Gegend rast, handelt nicht wie ein vernünftiger Erwachsener. Noch dazu, wenn er nicht angeschnallt ist“, sagte Richter Warga. Zudem müssten im Gegensatz zu Köln in diesem Fall besondere Umstände berücksichtigt werden: Dazu zählen die schweren Verletzungen, die der Angeklagte selbst erlitten hat, der Verlust des Arbeitsplatzes und – vor allem – das fehlerhafte ABS. „Das alles rechtfertigt in Summe eine Bewährungsstrafe“, sagte Warga. Während des Prozesses hatte sich der 22-Jährige noch einmal bei der Witwe des Opfers entschuldigt: „Ich dachte immer, ich habe meinen Wagen im Griff. Weil ich jung und dumm war.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Rechtsempfinden der Bevölkerung

Wegen eines tödlichen Unfalls bei einem illegalen Autorennen in Köln stehen dort zwei Raser vor Gericht. Für Aufsehen sorgt der Prozess, weil die beiden Angeklagten in einem ersten Prozess wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt worden sind. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil teilweise auf. Nach Ansicht des BGH hatten die Richter im ersten Prozess nicht ausreichend berücksichtigt, wie sich die Bewährungsstrafen auf das allgemeine Rechtsempfinden der Bevölkerung auswirken.ha

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