„Ein Elefant als Haustier?“

von Redaktion

Den Weg zur Bücherei finden oder ein Kinderbuch vorlesen: Was alltäglich klingt, fällt Geflüchteten oft schwer – vor allem Frauen. Ein Kursangebot namens „MiA” soll ihnen das Ankommen erleichtern. Was Pettersson und Findus damit zu tun haben.

Waldkraiburg – „Wer kennt Pettersson und Findus?”, fragt Beatrice Pieraccini die um sie herum sitzenden Damen und hält dabei ein Kinderbuch in die Höhe. Keine von ihnen meldet sich, der schwedische Kindheitsheld ist ihnen kein Begriff. Die Frauen kommen unter anderem aus Bosnien, Rumänien, dem Irak, Sierra Leone und der Ukraine.

Aber sie können Pieraccini sagen, welches Tier Findus ist. „Eine Katze”, sagt eine Frau und eine andere wiederholt „eine Katze“. „Ist Pettersson ein schöner Mann?”, fragt Pieraccini weiter. „Nein”, sind sich die Frauen schnell einig und scherzhaft fügt eine hinzu: „David Beckham ist ein schöner Mann.”

Grundwortschatz gibt
Sicherheit und Power

„Schon ein Grundwortschatz gibt den Frauen Sicherheit und Power”, sagt Pieraccini. Sie ist Integrationslotsin im Caritasverband der Erzdiözese München und Freising und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Als Teil des Projektes „Migrantinnen einfach stark im Alltag”, kurz MiA, besucht sie mit etwa 15 Frauen das Haus des Buches in Waldkraiburg. Dass nicht jede von ihnen der Führung der Bibliothekarin Alina Lode folgen kann, ist ihr bewusst. „Aber es ist wichtig, dass die Frauen sich in der Stadt orientieren können und die Institutionen kennenlernen.”

Dass es mit der Orientierung nicht so leicht ist, wird deutlich, als eine Frau mit ihrem Handy zu Pieraccini kommt und ihr eine Nachricht zeigt: Eine andere Frau hat sich verlaufen und findet die Gruppe nicht. Pieraccini reagiert gelassen, das passiere regelmäßig. Sofort geht eine Teilnehmerin zum Eingang, um Ausschau zu halten. Gleichzeitig versuchen sie, den Weg telefonisch zu beschreiben. „Das ist richtige Frauenpower, alle hier helfen sich gegenseitig”, sagt Pieraccini.

Das trägt auch dazu bei, dass alle gerne am Kurs teilnehmen. „Wir haben auch Frauen mit Babys, die es anfangs viel Überwindung gekostet hat, überhaupt zu kommen – aber dann merken sie, dass sie akzeptiert und unterstützt werden”, erzählt Pieraccini. Wenn eine Frau etwa stillen müsse, sei das etwas Selbstverständliches. „Solidarität ist eine Stärke der Frauen.”

Die Gruppe ist bunt gemischt, ältere und jüngere Frauen, Akademikerinnen und Analphabetinnen machen mit Beatrice Pieraccini die ersten Schritte in der für sie fremden Sprache. Der Kurs setzt noch vor einem Integrationskurs an und tastet sich langsam heran, Pieraccini vergleicht es mit einer Art Vorschule. Die Nachfrage ist groß, inzwischen stehen Frauen auf der Warteliste.

Projekte wie dieses gibt es in Bayern ein gutes Dutzend, aber überwiegend in größeren Städten. „Wir sind stolz, dass wir Pionierarbeit leisten”, sagt Pieraccini. In Waldkraiburg seien sie damit gut positioniert: „Über 25 Prozent der Bevölkerung haben Migrationshintergrund, zudem gibt es zwei große Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete”, heißt es in der offiziellen Projektbeschreibung der Caritas.

Auch Kursleiterin Pieraccini selbst hat einen Migrationshintergrund, sie kommt aus Italien. „Das ist gut, weil ich natürlich auch eine Art Vorbildfunktion habe.” Sie möchte den Frauen zeigen, dass sie teilhaben können, dass Deutschland ihnen viele Möglichkeiten bietet. „Oft landen sie in eher unbeliebten Jobs, beispielsweise als Putzfrau oder Küchenhilfe – aber dabei lernen sie kein Deutsch, das ist unmöglich.” Im Laufe des Kurses erhalten sie darum auch Beratung, welche beruflichen Perspektiven sie haben.

Aber bis es so weit ist, üben sie im Kurs erstmal das Alphabet und Vokabeln. „Ein Buch, zwei Bücher”, sagen sie gemeinsam, wobei Pieraccini das „Ü“ mit einem kleinen Hüpfer betont. „Umlaute sind schrecklich”, erklärt sie.

In der Regel findet der Unterricht zweimal wöchentlich für zwei Stunden in einer Grundschule in Waldkraiburg statt. Weil sie an diesem Tag einen Ausflug zum Haus des Buches machen, improvisiert die Kursleiterin ein wenig und nutzt die Gegebenheiten, arbeitet mit den Kinderbüchern in der Leseecke. Sie fragt nach Tieren und Farben, stellt einfache Ja-Nein-Fragen: „Ist ein Elefant ein Haustier?” „Nein, zu groß”, antwortet eine Teilnehmerin.

Bimpe Bakare aus Nigeria macht der Unterricht Spaß: „Unsere Lehrerin ist gut und sehr freundlich, ich freue mich immer auf den Kurs.” Englisch spricht Bakare auf professionellen Level und ist sich sicher, dass ihr mit der Zeit auch Deutsch leichter fallen wird. Sie nutzt den Rundgang durch die Bücherei, um einen Blick in die Bücher zum Deutschlernen zu werfen. Pieraccini freut das sichtlich: „Da merkt man, dass wirklich Interesse da ist.” Auch vergleichbare Angebote für Männer würde die Caritas gerne aufstocken, ein spezielles Programm wie MiA gibt es dafür vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge jedoch nicht. Aber warum gibt es überhaupt nach Geschlechtern getrennte Kurse? „Wenn Männer in Kursen dabei sind, sind die Frauen anders, trauen sich nicht mehr”, erklärt Pieraccini. In den MiA-Kursen machen sie sich dagegen gegenseitig Mut, ein Wettbewerb herrsche nicht.

Frauen tragen zur
Integration bei

„Dass sich Frauen und Mütter integrieren, ist wichtig, um auch ihre Kinder zu stärken”, sagt Pieraccini. Sie seien zumeist für die Schulbildung der Kinder zuständig und ihre Deutschkenntnisse wirken sich erwiesenermaßen auf die positive Integration der ganzen Familie aus, heißt es in der Projektbeschreibung.

„Es war fantastisch”, verabschiedet sich eine Teilnehmerin nach dem Rundgang im Haus des Buches. Erst vor einem Monat ist Pieraccini mit der aktuellen Gruppe gestartet. „Manche Frauen haben damals kein Wort gesagt, und jetzt kommt etwas”, freut sie sich.

Artikel 7 von 11