Ampfing – Der Kabarett-Abend entscheidet sich nach der Pause. Ihn entscheidet eine Zahl und der Umgang damit. 3677. Eine Zahl, an der der ganze Auftritt des Kirchenkabaretts Soafablosn hängt. Und die Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland.
Plötzlich ist
das Lachen vorbei
Es ist sehr still im Saal des Ampfinger Pfarrzentrums und die zuvor so witzige Stimmung verflogen. Kurz nach der Pause fällt die Zahl zum ersten Mal: 3677. So vielen Kindern und Jugendlichen wurde in der katholischen Kirche von Geistlichen sexuelle Gewalt angetan. Nachweislich. „Das passt nicht mehr unter den Teppich“, sagt Richard Stefke, der zusammen mit Werner Hofman und Markus Lentner als Soafablosn auf der Bühne steht.
„Das übersteigt alle Skandale der letzten Jahrzehnte“, „vorbei die Zeit der Narretei“, „das kannst du unmöglich auf die Bühne bringen“, überlegen die Soafablosn. Doch, es geht. Es gelingt, die Dimensionen des Skandals auf der kleinen Bühne sichtbar zu machen. Die Versuche, die Gewalt doch unter den Teppich zu kehren, die Sprachlosigkeit angesichts des Grauens. Und schließlich die Frage: „Gehen oder weitermachen?“ Als Kabarettisten, aber natürlich auch als Angehörige der katholischen Kirche – obwohl die Soafablosn das so nicht aussprechen. Nicht aussprechen müssen.
Im Dialog mit dem Publikum – sehr spontan, sehr schnell, sehr charmant: Richard Stefke – fällt schließlich die Entscheidung: bleiben, weitermachen, es besser machen. Für die drei Kabarettisten und die Zuschauer verbindet sich damit aber auch die Frage: Wie kommt nicht nur die Kirche, sondern auch der Abend aus dem Stimmungstief wieder heraus? Wie gelingt es Hoffman, Stefke und Lentner, die fröhliche Stimmung von vor der Pause wiederzugewinnen?
Seit 1994
auf der Bühne
Seit 1994 stehen die drei Angestellten der katholischen Kirche gemeinsam auf der Bühne, seit 30 Jahren betrachten sie das Zusammenleben in der Kirche, die Irrnis und Irrwege der Institution. Nach Ampfing kamen sie auf Einladung des Fördervereins Pfarrzentrum, der sein 20-Jähriges feiert.
Natürlich sind es kirchliche Themen, die die Menschen aus der Pfarrei in den fast ganz vollen Pfarrsaal gebracht haben. Frauen, Priester, Hierarchie, Bischöfe, Macht, Weihe, die drei Herren auf der Bühne lassen nichts aus. Sie bringen Intrigen der Reaktionären via Chatnachrichten in einem kleinen Theaterstück brillant und kurzweilig auf die Bühne, ganz ohne Sauertöpfigkeit oder erhobenen Zeigefinger, sie albern am Kaffeetisch, singen und fragen das Volk nach seiner Meinung. Das darf in guter kirchlicher Tradition nach den Nummern darüber abstimmen, ob es sehen will, was es längst gesehen hat.
„Alles, was ihr wollt“, heißt das Programm, versprochen wird nicht weniger als: „Es kann den langersehnten schnellen Wandel bringen.“ Nun ja, zumindest an diesem Abend gelingt es auf dramaturgischer Ebene sehr gut.
Denn die Kabarett-Depression über den systematischen Missbrauch verwandeln Hofman, Stefke und Lentner in einer rasanten Stadionkonferenz fürs Radio in ein furioses Finale. Hektik, Abpfiff, die meisten Stadionspielfelder bleiben am Ende leer. Die Zuschauer im Pfarrsaal klatschen begeistert.
Am Ende
bleibt nur Hoffnung
Also: bleiben oder gehen? Aufgeben oder weitermachen? Die Soafablosn scheinen auch nach 30 Jahren auf der Bühne keinen Abtrittsgrund zu haben. Im Gegenteil: Die Kirchenkrise erhöht offensichtlich den Wunsch nach kabarettistischer Ausdeutung. Denn selten in ihrer langen Karriere haben sich die drei Kirchenmitarbeiter so oft auf die Bühne gestellt wie derzeit. Das erzählt Markus Lentner in der Pause.
Und kirchlich? Diese Frage bleibt am Ende offen, über sie lassen die drei nicht abstimmen. Kein Voting aus dem Saal, keine Abstimmungskärtchen für Bleiben oder Gehen.
Und doch bleibt etwas in Erinnerung: das Schild, das die Soafablosn auf ihren Werbeplakaten zwischen Kirche und Welt in die Höhe halten: Hoffnung.