Rechtmehring/Wasserburg – „Bei einer Vernissage in Wasserburg haben wir sie getroffen und hörten, dass sie weitab in einer alten Mühle wohne. Wie sie da wohl hinkommt?“, setzt der Artikel von Elisabeth Reichert in der Rubrik „Zuagroast“, in der Ausgabe der Wasserburger Zeitung vom 11. Oktober 1975 an.
Auf Motorrad angewiesen
Und weiter heißt es: „Mit einer Beiwagen-Maschine natürlich“, beantwortet sich die Frage. Da sie es versäumt habe, rechtzeitig Auto fahren zu erlernen, ist das schwere Motorrad ihr einziges Verkehrsmittel. „So wie ich wohne, sagt sie, bin ich darauf angewiesen: Der nächste Metzger ist zu Fuß nicht zu erreichen. Und wenn ich auch verzichten kann, so brauchen doch meine Katzen Fleisch. Außerdem, wie soll ich nach Berlin oder Frankfurt kommen, wo ich doch immer Arbeiten mitnehmen muss?‘ Das leuchtet ein, aber doch staunen wir, wenn wir hören, dass Louise Stomps kürzlich ihren 75. Geburtstag gefeiert hat.“
Die am 5. Oktober 1900 in Berlin geborene Louise Stomps war eine Bildhauerin und Grafikerin. Zunächst orientierte sie sich an der klassischen Moderne, später wurde ihr Werk immer abstrakter. Der menschliche Körper stand dabei aber immer im Mittelpunkt. Ihre Leistungen werden bis heute gewürdigt: Im November 2019 übergaben die Familie Schrader und Berthold Kogut in feierlichem Rahmen 16 Skulpturen aus der Hand ihrer Großmutter Louise Stomps der Stadt Wasserburg. Diese waren bereits seit einigen Jahren in der Bibliothek ausgestellt. 2021 zeigte die Berlinische Galerie außerdem die erste Retrospektive der Bildhauerin.
„Als sie anfing, ihren eignen Stil zu finden, waren es mittlerweile die dreißiger Jahre geworden und bald war es ratsam, ganz in der Stille zu bleiben, denn was sie nun machte, wäre als ‚entartet‘ verdammt worden“, berichtet Elisabeth Reichert in ihrem Porträt der Künstlerin. 20 Jahre habe sie daher in relativer Unbekanntheit gearbeitet. Schließlich zog sie von Berlin weg nach Oberbayern.
Auch andere Künstler, wie beispielsweise Joseph Pilartz, hatten sich schon im Wasserburger Raum angesiedelt. „Eine alte Mühle hatte sie sich gewünscht, und eine alte, eine uralte Mühle fand sie.“ Ab 1960 habe sie sich an die Renovierung gemacht. Das Haus sei bewusst karg eingerichtet: „Sie will und gönnt sich keine Bequemlichkeit, das könnte sie verleiten, weniger hart zu arbeiten.“
Ihr bevorzugtes Material sei zwar Stein, damals aber arbeitete sie umständehalber vor allem mit Holz. „Die Bauern ihrer Umgebung – obwohl der Berlinerin die Verständigung noch immer schwerfällt – achten sie als fleißige Arbeiterin und wenn ein Baumstamm anfällt, kann sie ihn billig erwerben.“ Ein Problem, auch beim Finden von Interessenten, sei das Ausmaß der Skulpturen. „Denn nicht jeder Hausbewohner ist gewillt, so wie die Bildhauerin in ihrer Behausung es gemacht hat, an einer Stelle die Decke des Erdgeschosses auszuschneiden, um besonders hohen Plastiken Raum zu schaffen.“
88 Jahre sollte Stomps alt werden. Doch dann wurde ihr ausgerechnet das Motorradfahren zum Verhängnis. „Die Bildhauerin Louise Stomps aus Kumpfmühle bei Rechtmehring ist tot“, meldete die Zeitung. „Am Wochenende erlag die 88-Jährige im Altöttinger Krankenhaus den Folgen eines schweren Verkehrsunfalls. Vor über einer Woche war die Künstlerin mit ihrem schweren Motorrad aus ungeklärter Ursache von der Fahrbahn abgekommen und gegen eine Mauer geprallt“, ist in dem Bericht zu lesen.
Unbeirrbare
Künstlerin
„Sie muss aus recht zähem, widerstandsfähigem Holz geschnitzt gewesen sein, was man ihr allein schon glaubte, wenn man sie in ihrer Motorradkluft von der schweren Beiwagenmaschine steigen sah“, heißt es in einem Nachruf, „Aber sie war nicht nur ein Original, sondern vor allem eine Künstlerin von unbeirrbarer Konsequenz, die über ihre oberbayerische Wahlheimat hinaus zu den herausragenden Bildhauerinnen ihrer Generation zählte. Vor allem das Holz war ihr Material. Aus der Einmaligkeit gewachsener Baumstrukturen entwickelte sie die lebendigen Formelemente ihrer mannshohen Skulpturen, die in urtümliche, mythologische und auch herb poetische Dimensionen ausgreifen.“