Mühldorf/Ampfing/Vogtareuth – Rainer und Beate Greimel aus Ampfing hatten Sohn Moritz mit ins BR-Studio gebracht: Der junge Mann sitzt im Rollstuhl und ist seit seiner Geburt schwer körperlich behindert. In der Schön-Klinik Vogtareuth fand er in der Jerwa-Abteilung (steht für: Junge Erwachsene mit Behinderungen) eine Anschlussbehandlung, die ihm mehrfach sehr gutgetan und ihn gesundheitlich nicht nur stabilisiert, sondern auch vorangebracht hat, wie die Eltern berichten.
Doch Ende des Jahres ist Schluss mit diesem Angebot für junge Menschen, die an komplexen neuropädiatrischen und neurologischen Erkrankungen leiden. Die Jerwa-Station wird geschlossen, ebenso weitere Fachzentren der Schön-Klinik in Vogtareuth.
Im September hatte Familie Greimel nach eigenen Angaben von diesem Schritt erfahren, jetzt ist es Mitte November und die Sorgen um die weitere Versorgung werden immer drängender, berichtete der Familienvater.
Gerlach: Staat hat keinen
Einfluss auf Schließung
Rainer Greimel wollte in der Live-Sendung von der Gesundheitsministerin wissen: Wie geht es jetzt weiter? Gibt es noch eine Chance? Gerlach machte wenig Hoffnung: Die Schließung von Abteilungen sei eine privatwirtschaftliche Entscheidung eines Klinikträgers, auf die der Staat keinen Einfluss nehmen könne. Die Schön-Klinik könne nicht gezwungen werden, das Angebot aufrechtzuerhalten.
Und ja: „Diese Abteilung in Vogtareuth ist so einfach nicht zu ersetzen“, bedauerte Gerlach mit Blick auf die Jerwa-Station. In dieser Form werde es sie in Zukunft wohl auch woanders nicht mehr geben. Die Gesundheitsministerin teilte jedoch die Ergebnisse eines Gesprächs mit dem Klinikchef mit: Dieser habe ihr versprochen, sich um jeden Einzelfall zu kümmern, mit dem Ziel, dass die Patienten eine adäquate Weiterversorgung erhalten.
„Wir sind alle ein bissl enttäuscht“, sagt Beate Greimel am Tag nach der Sendung am Telefon. Die Antworten der Ministerin in der Sendung hätten sehr den offiziellen Stellungnahmen der Schön-Klinik-Leitung geähnelt.
Gerlach habe unter anderem darauf verwiesen, dass der Bedarf für das Jerwa-Angebot hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei, wie die Klinik ausgeführt habe. Das könne nicht sein, denn ihr Sohn Moritz habe allein ein halbes Jahr auf einen Platz in der Fachabteilung warten müssen. Und es stimme auch nicht, dass es diese Abteilung erst seit zwei Jahren gebe, eröffnet worden sei sie bereits 2021.
„Großer Rückschritt“
in Sachen Inklusion
Nachdem die Kameras aus waren, gab es laut Beate Greimel jedoch im Nachgang noch eine Möglichkeit, mit der Ministerin persönlich zu sprechen. Diese habe zugesagt, in puncto Anschlussbehandlungen nachzuhaken. Wenn sich innerhalb der nächsten zwei Wochen keine Lösung aufgetan habe, dürfe die Ampfinger Familie Ministerin Gerlach noch einmal anrufen.
Diese habe versprochen, sich für ihr Anliegen persönlich einzusetzen. „Die Ministerin war sehr sympathisch und offen. Wir fanden es gut, dass wir mit ihr noch ins Gespräch kamen. Doch aktuell ist es so, dass wir Patientenfamilien alle nicht wissen, wie es weitergeht“, sagt Beate Greimel.
„Wir fühlen uns von der Politik im Stich gelassen“, betont sie. „Es wird viel von Inklusion geredet, doch die Schließung der Jerwa-Station in Vogtareuth ist diesbezüglich ein großer Rückschritt.“ Derzeit würden alle betroffenen Patientenfamilien von Arzt zu Arzt und Klinik zu Klinik rennen, auf der Suche nach Anschlussversorgungen. „Bisher gab es aufgrund der schweren Behinderungen der jungen Erwachsenen nur Ablehnungen. Wir wissen alle nicht, wohin“, sagt sie.
Die Jerwa-Station mit ihrem „tollen Team“ aus Ärzten, Therapeuten und Pflegepersonal habe die Betroffenen ganzheitlich gesehen, sich intensiv mit allen Begleiterscheinungen der Erkrankungen auseinandergesetzt. Sohn Moritz, der als Folge einer Hirnblutung bei der Geburt unter einer starken Muskeldystrophie leide, die ihn auch in den Rollstuhl zwingt, war bereits dreimal stationär zur Behandlung in Vogtareuth. Dort sei unter anderem entdeckt worden, dass der heute 20-Jährige aufgrund seiner Spastiken auch ein Darm-Management benötige, um gefährliche Verdauungsprobleme zu verhindern. In der Klinik fühle sich ihr Sohn, der geistig topfit, aber in seinem Körper gefangen sei, gut aufgehoben und verstanden.
„Wir würden auch
bis Hamburg fahren“
Die Patienten kommen von weit her, stellen die Greimels fest. Sie hoffen nun darauf, dass es nach der Schließung in Vogtareuth in Bayern oder Deutschland doch noch ein ähnliches Angebot geben wird. „Wir würden auch bis nach Hamburg fahren“, sagt Beate Greimel. Sie sieht die Gefahr, dass ganzheitliche und interdisziplinäre Stationen wie Jerwa in Vogtareuth, die sich an junge Erwachsene mit komplexen Behinderungen wenden, dem Rotstift der Gesundheitsreform zum Opfer fallen.
„Wir müssen jetzt wissen: Wer nimmt uns? Wo können wir hin?“ Bei Sohn Moritz hofft sie, dass sich sein Zustand nicht verschlechtert. So war es schon einmal: 2017. In der Schön-Klinik Vogtareuth wurde ihm damals geholfen.