Stammstrecken-Sperrung

Handarbeit im S-Bahn-Tunnel

von Redaktion

von Marc kniepkamp

So ein Instandhaltungswochenende bei der Stammstrecke könne man ein wenig mit dem regelmäßigen Besuch beim Zahnarzt vergleichen, sagt Kai Kruschinski, seit April Chef des Münchner Schienennetzes bei der DB Netz. Damit die Zähne länger halten, müssten sie ein wenig geschliffen und gesäubert werden. Bei der Stammstrecke sei das kaum anders. „Wenn wir die Schienen nicht regelmäßig fräsen und schleifen, sind sie nach zwei Jahren kaputtgefahren“, erklärt Kruschinski. Bei regelmäßiger Pflege hielten die Gleise dagegen gut 20 Jahre.

Seit diesem Jahr versucht die Bahn möglichst viel dieser regelmäßig wiederkehrenden Pflege an zwei Wochenenden im Jahr zu erledigen, jeweils im Mai und im Oktober. Der Hauptgrund: Bislang wurden die Arbeiten jeweils in der Nacht erledigt, das war allerdings wenig effizient. Material und Arbeiter mussten in einem engen Zeitfenster von vier Stunden immer wieder neu an den Einsatzort und herausgebracht werden, für die Arbeiten blieb dann nur wenig Zeit.

Am Wochenende läuft alles ganz anders. Insgesamt sind 250 Menschen damit beschäftigt, die Stammstrecke auf Vordermann zu bringen. An 63 Baustellen werkeln die Arbeiter rund um die Uhr, 14 Arbeitszüge sind im Einsatz. Schienen werden geschliffen, Rissfugen abgedichtet und insgesamt 24 neue Weichenantriebe installiert.

Ein besonders spektakuläres Beispiel dafür, wieso die Wartung des Tunnels „am Stück“ sinnvoller ist als an mehreren Abenden, führt die Bahn am Isartor vor. Hier befindet sich mit 18 Metern die tiefste Stelle der S-Bahnröhre – schließlich müssen die Züge zwischen Isartor und Rosenheimer Platz die Isar unterqueren. Der Strom fließt nur zweieinhalb Meter über der Tunneldecke, bei einem Loch in der Röhre könnten weite Teile des S-Bahnnetzes, aber auch der U-Bahn, voll Wasser laufen. Vor einer Überflutung des gesamten Tunnels sollen hier die gewaltigen „Wehrkammertore“ schützen. 50 Tonnen schwer sind diese Stahl-Ungetüme. Der Fahrdienstleiter kann sie binnen zwei Minuten schließen und damit das Schlimmste verhindern. Bisher mussten die Tore noch nie zum Einsatz kommen.

Damit der Schutzmechanismus im Ernstfall funktioniert, müssen die Tore einmal jährlich geprüft werden. Das ist eine relativ komplizierte Prozedur. Damit die Wehrkammertore freie Bahn haben, müssen Arbeiter zunächst die Stromschienen ausbauen, die an der Tunneldecke angebracht sind. Dafür fahren sie mit einem komplett ausgestatteten Werkstattzug in den Tunnel. Bisher musste die Röhre dafür an zwei Abenden im Jahr gesperrt werden, das Fahrzeug und die Arbeiter mussten jedes Mal aufs Neue an den Arbeitsort gebracht werden. Das kostete Zeit, am Sperrwochenende können dagegen beide Wehrkammertore an einem Tag geprüft werden.

Für die Bahn ist ein solches Wochenende eine logistische Herausforderung, jeder Einsatz ist minutiös geplant. Für die Fahrgäste kann die Stammstreckensperrung dagegen auch mal zur Geduldsprobe werden. „Wir schätzen, dass wir eine Million Fahrgäste nicht befördern konnten“, sagt Kruschinski. Entlang der Stammstrecke ersetzen Busse die ausfallenden S-Bahnen. 50 Minuten sind diese von Pasing bis zum Ostbahnhof unterwegs. „Unsere Erfahrung zeigt, dass kaum ein Fahrgast die komplette Strecke mit dem Bus zurücklegt“, so Kruschinski. Ein Vorteil des Sperrwochenendes sei, dass die Kunden sich vorbereiten können und rechtzeitig nach Alternativen Ausschau halten könnten.

Wer jetzt nach Veränderungen auf der Stammstrecken sucht, wird meist enttäuscht werden. So wichtig die Arbeiten für den Erhalt der Röhre sind, durch die täglich 1000 Züge rattern – für den Laien sind die Veränderungen kaum sichtbar. Eine Ausnahme ist der Bahnsteig am Hauptbahnhof. „Dort wurde die Decke komplett geschwärzt“, erklärt Kruschinski. Der Grund ist ein psychologischer. Eine dunkle Decke vermittelt ein aufgeräumtes und sauberes Raumgefühl. „Dadurch erhöht sich auch das Sicherheitsempfinden der Fahrgäste“, weiß Kruschinski. Und der Kabelverhau an der Decken fällt nicht mehr so auf.

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