Seine Glatze ist frisch rasiert. Bleich glänzt die Kopfhaut von Roland B. im Schein der Deckenleuchten. Wie ein Fremdkörper sitzt die tiefschwarze Brille in seinem ausgemergelten Gesicht. Die Wangen: eingefallen. Seit Mitte August befindet B. sich im Hungerstreik. Er isst nicht, spricht nicht. Um 14.07 Uhr hievte er seinen geschwächten Körper gestern ein letztes Mal auf die Anklagebank, um sein Urteil am Landgericht entgegenzunehmen.
Lebenslang – damit hatte Roland B. wohl schon gerechnet. Richter Michael Höhne verurteilte den früheren Architekten aber nicht nur wegen Mordes, sondern stellte auch die besondere Schwere der Schuld fest. Es ist die Höchststrafe, die ein deutsches Gericht verhängen kann. B. wird also nicht nach 15 Jahren wieder aus dem Gefängnis entlassen werden. Der Mörder quittierte das mit einem Zucken: Langsam hob er die Augenbrauen an, dann presste er den Mund zusammen. Seine Augen aber blieben stoisch, der Blick geradeaus gerichtet. Dann machte sich Roland B. wieder Notizen. Als wäre nichts gewesen.
„Er handelte aus Wut und Verärgerung darüber, dass Tsin-Ieh L. sich getrennt hat und keine Aussprache wollte“, begründete Richter Michael Höhne sein Urteil. Demnach geschah die Tat aus niederen Beweggründen: Roland B. habe die Trennung im August 2009 nie verwunden. Danach begann für das Opfer eine regelrechte „Stalking-Kaskade“, wie Höhne ausführte: B. rief Tsin-Ieh L. bei der Arbeit an, klingelte nachts an ihrer Tür und verfolgte sie im Alltag. Selbst, als die Aussprache im Beisein einer Freundin tatsächlich erfolgte, hörte er nicht auf. „Sie war in ihrer Lebensführung massiv beeinträchtigt und verbrachte einen großen Teil ihrer Zeit damit, sich gegen das Stalking zur Wehr zu setzen.“ L. habe in ständiger Angst gelebt – auch vor tätlichen Angriffen.
Seit 2010 hatte sie deshalb jeden Kontakt zu Roland B. abgebrochen. Und erwirkte in den Jahren 2013, 2014 und 2015 jeweils eine einstweilige Verfügung gegen ihn. Weil er sich nicht daran hielt, verhängte das Amtsgericht ein Kontaktverbot und Ordnungsgelder. Es half nichts: B. setzte das Stalking fort – und mordete im August 2016 „mit absolutem Vernichtungswillen“. Der Angeklagte habe sich aus Narzissmus und Übernachhaltigkeit „von nichts und niemandem abbringen lassen“, so Höhne.
Der Richter fand aber nicht nur harte Worte für den Mörder, sondern auch für die Behörden. „Das Schwurgericht musste desillusioniert zusehen, wie der Staat trotz Ausschöpfung aller rechtlicher Mittel nicht in der Lage ist, einem Stalking-Opfer den erforderlichen Schutz zu gewähren.“ Und das, obwohl L. sich vorbildlich verhalten habe mit mehreren Strafanzeigen und dem Führen eines Stalking-Tagebuchs. Kein Wort sprach Roland B. im drei Monate langen Mordprozess, sondern trat in den Hungerstreik. Den Angehörigen blieb er Antworten schuldig. Weinend verfolgten sie, wie der Richter aus einem der letzten Briefe des Opfers las: „Ich kann mein Leben nicht mehr mit Freude leben. Immer habe ich Angst, dass Roland mir folgt oder auflauert.“