Als Maria (76) und Erwin R. (77, Namen geändert) an einem Dienstagnachmittag vor zwei Wochen zurück zu ihrer Wohnung in Laim kommen, können sie ihre Haustüre nicht mehr öffnen. Der Schlüssel lässt sich einfach nicht mehr umdrehen. Mit dem Smartphone sucht das Paar bei Google nach „München Laim Schlüsseldienst“ – und gelangt auf die Internetseite von „Schlüsselnotdienst Tag und Nacht“. Das Ehepaar ruft bei dem vermeintlich vor Ort ansässigen Unternehmen an. Was es nicht weiß: Der Firmensitz ist laut später ausgestellter Rechnung in Essen, das Unternehmen bundesweit tätig. Verbraucherzentralen haben in der Vergangenheit bereits vor der Firma gewarnt.
Erst eineinhalb Stunden später, gegen 18 Uhr, kommen zwei Handwerker. Das Ehepaar wartet so lange bei Nachbarn. „Die Firma wollte uns wohl durch die Wartezeit weichkochen“, sagt Maria R. Die Arbeiter werkeln an der Tür herum, am Ende sägen sie das Schloss heraus und bauen ein neues ein. „Ob das wirklich nötig war, wissen wir nicht.“ Dann kommt die Rechnung: 2860,16 Euro. Die Eheleute sind überrumpelt, wollen in ihre Wohnung. Erwin R. bezahlt mit Karte und unterschreibt auch alles. „Ich habe nicht gewagt zu sagen, wir bezahlen nicht“, sagt er.
Nach dem ersten Schock dämmert dem Paar, was für einen Extrem-Preis es bezahlt hat. Laut Verbraucherzentrale Bayern kostet eine Türöffnung tagsüber in Bayern durchschnittlich 71,02 Euro. Ehepaar R. hat das 40-Fache bezahlt. „Uns stürzt das nicht in den finanziellen Ruin, aber die Unverschämtheit ärgert uns sehr“, sagen sie. Auf eine Anfrage unserer Zeitung reagiert der Schlüsseldienst nicht. Erwin R. erstattet einen Tag später Anzeige bei der Polizei.
Die Summe sei sicher in Sachen Schlüsseldienst eine der höchsten, die es je in München gegeben habe, sagt Polizei-Sprecher Christoph Reichenbach. In Essen gebe es ein Sammelverfahren der Staatsanwaltschaft, an das der Fall nun angegliedert werde.
Expertin in Sachen Schlüsselnotdienste ist Gabriele Bernhardt von der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Sie vermutet, dass das Unternehmen, dem das Ehepaar R. aufgesessen ist, zum Firmengeflecht der „Deutschen Schlüsseldienst Zentrale“ gehört. Darauf deuteten einzelne Posten auf der Rechnung hin. Deren Chefs, Karl-Leo S. (56) und Christian S. (37), müssen sich derzeit vor dem Landgericht Kleve (Nordrhein-Westfalen) verantworten und bestreiten die Vorwürfe. Sie sollen mehr als 1000 Kunden ausgenommen haben – über vor Ort agierende Subunternehmen, die aber wohl den größten Teil des Geldes an die Firmen-Chefs abtreten mussten. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein, so Bernhardt. „Das ist extreme Abzocke. Ein Teil des Problems ist auch: Die einzelnen Polizeidienststellen könnten die Subunternehmen oft nicht zuordnen.“ Ihr Rat: Die Rechnung an das für die Firma zuständige Finanzamt schicken. Außerdem: Anzeige wegen Wuchers erstatten gegen unbekannt mit Verweis auf die „Deutsche Schlüsseldienst Zentrale“.
Bei der Verbraucherzentrale Bayern werden immer wieder Fälle von extremer Abzocke bekannt. Laut Rechtsexpertin Tatjana Halm koste eine Türöffnung in Bayern im Schnitt tagsüber an Werktagen 71,02 Euro, nachts, sonn- oder feiertags 118,91 Euro. Die Preise wurden durch eine Umfrage unter 600 Schlüsseldiensten bundesweit für jedes Bundesland errechnet. „Erheblich darüber oder darunter sollte ein seriöses Angebot eines Schlüsseldienstes nicht liegen“, so Halm.