Umringt von Kindern sitzt ein Mädchen mit dunklen Haaren auf dem Boden. In der rechten Hand einen Alubecher, mit der linken hält sie einen blonden Buben, der sich an sie lehnt. Sie warten darauf, dass ihre leeren Becher gefüllt werden. Diese Szene mit dem Titel „Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsgebieten“ hat der polnische Fotograf David Seymour 1948 in Griechenland festgehalten. Es ist das Titelbild der Ausstellung „Menschen auf der Flucht“, die heute Abend im Gasteig eröffnet wird. Die Ausstellung ist eine Kooperation der Agentur Magnum Photos und der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Vorab haben wir mit dem deutschen Amnesty-Generalsekretär Markus Beeko gesprochen.
-Herr Beeko, wie passt die Ausstellung in eine so reiche Stadt wie München?
München ist eine Stadt mit Herz und mit offenen Augen. Und die Münchner haben, als es in den letzten Jahren darauf ankam, vielen Schutz suchenden Menschen die Hand gereicht. Wir freuen uns sehr, die Ausstellung hier zeigen zu können.
-Welche Bilder zeigt die Ausstellung?
Die Bilder aus rund 70 Jahren, vom Zweiten Weltkrieg bis heute, zeigen auf unterschiedliche Weise das Leben und Überleben von Menschen auf der Flucht. Sie erlauben einen Einblick in verschiedene Geschichten – von der Suche nach Schutz, Sicherheit und Heimat.
-Welches Foto bewegt Sie am meisten?
Alle Bilder haben mich auf verschiedene Weise bewegt. Um eines herauszugreifen: Auf einem Foto sind zwei Hosenbeine und Füße zu sehen, wohl die eines Mannes. Sie stecken in kaputten Schuhen, die Zehen ungeschützt im Freien. Dieses Bild wurde 1946, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, in Bonn aufgenommen. Es erinnert mich daran, was Flucht bedeutet: Schutz und Heimat zu suchen, so weit einen die Füße tragen können.
-Gibt es ein Bild, das eine persönliche Bedeutung für Sie hat?
Als Vater berühren mich die vielen Bilder von Kindern sehr. Kinder, die auf der Flucht unter schwierigsten Bedingungen versuchen, aus jedem Moment das Beste zu machen. So, wie es die spielenden tschetschenischen Kinder auf dem Bild von Thomas Dworzak tun.
-Welche Botschaft geben die Fotos dem Betrachter mit?
Man kann erahnen, wie viel Kraft es kostet, auf der Flucht zu sein. Kraft, nicht aufzugeben – nicht die Hoffnung, nicht sich selbst. Die Bilder erinnern uns auch daran, dass Fluchtbewegungen nichts Neues sind. Und dass diese Menschen unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung brauchen.
-Wie können solche Bilder die öffentliche Meinung beeinflussen?
Fotos erlauben uns, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Sie können unsere Wahrnehmung und unser Denken verändern. Bilder können mobilisieren, sie können Mut machen. Sie erinnern uns auch daran, dass wir zusammen etwas bewegen können.
-Inwiefern ist die Ausstellung ein Appell an die Politik?
Sie ist erst einmal ein Appell an den Betrachter. Er entscheidet, was wir als Gesellschaft damit machen sollten. Und wir können viel. Indem wir zum Beispiel als Bürger unserer Regierung einen Auftrag geben. Wie wir Menschen auf der Flucht die Hand reichen, sagt mehr über uns und unseren Staat aus als über die Schutzsuchenden.
-Wie funktioniert fotografische Ästhetik vor dem Hintergrund von Not und Elend?
Es kommt darauf an, Menschen in Not zu zeigen, und nicht Not per se. Es ist wichtig, den flüchtenden Mensch bei all dem Elend als Mitmenschen zu erkennen – in seiner Würde, Kraft und Verletzlichkeit.
-Sind Sie mit den Fotografen manchmal selbst vor Ort?
Ab und zu begleiten uns Fotografen auf unseren Reisen, doch meist entstehen die Reportagen unabhängig davon. Wenn Amnesty vor Ort mit Betroffenen spricht, steht der persönliche Austausch im Vordergrund.
Interview: Magdalena Höcherl