„Wenn’s Spitz auf Knopf steht, bitte zur Seite gehen“, warnt Andreas Simader, als er seine dunkelblaue Polizeijacke überstreift und die weiße Kappe unter den Arm klemmt. Denn in seinem Arbeitsalltag kann es auch mal gefährlich werden. Als einer von sechs Kontaktbeamten der Altstadtwache ist der 44-Jährige bereit für seinen Rundgang durchs Viertel oder, wie der Polizeihauptmeister sagt: „Durch das schönste Fleckerl der Stadt.“
Simaders Weg führt heute durch die Fußgängerzone, vorbei am Marienplatz, über den Odeonsplatz, an der Brienner Straße entlang und weiter zum Stachus. Als Kontaktbeamter tauscht sich Simader mit Geschäftsleuten aus, zieht Falschparker aus dem Verkehr, durchforstet die Altstadt nach potenziellen Kriminellen und eilt Ladendieben hinterher. Zu seinen Herausforderungen zählen vermeintliche Lappalien wie Werbeaufsteller, die zu weit in den Gehsteig ragen, genauso wie die Vorbereitung auf das weltweit größte Treffen von Sicherheitspolitikern, Militärs und Vertretern der Rüstungsindustrie, die Sicherheitskonferenz. Kurz: Simader bewegt sich ganz nahe am Menschen und ist somit wichtiges Bindeglied zwischen den Bürgern und Dienststellen.
„Sollte etwas passieren, ist innerhalb von drei Minuten eine Streife da“, sagt Simader. Die meisten Probleme ließen sich aber unkompliziert lösen. „Ich gehe auf die Menschen zu. Mit Reden erreicht man oft mehr als mit herrischem Auftreten. Das habe ich mit der Zeit gelernt.“ Seit zwölf Jahren patrouilliert der gebürtige Niederbayer durch Münchens prächtigste Gassen. „Das sind zwischen vier und acht Kilometer am Tag“, schätzt Simader. „Aber ich brauche das, vor allem bei schönem Wetter. Ein reiner Bürojob wäre nichts für mich.“
Ärger mit den Radl-Rambos
Als Andreas Simader durch die breite Eingangstür in den edlen Verkaufsraum mit den Luxusautos tritt, Schießt Zühriye Kristen strahlend hinter dem Empfangstresen hervor. Von der 47-Jährigen bekommt Simader keinen Händedruck, die Angestellte des Mercedes-Autohauses am Odeonsplatz bevorzugt eine Umarmung. „Wie geht es Ihnen?“, fragt die zierliche Frau. „Alles bestens“, entgegnet Simader und will wissen, ob irgendwo der Schuh drückt. „Wie immer die Radler“, sagt Kristen beiläufig.
Die Radl-Rambos, die an der Brienner Straße auf dem Gehweg entlangbrettern, sind Fußgängern wie Geschäftsleuten ein Dorn im Auge. Ansonsten fühlt sich Kristen „sehr sicher“, wie sie sagt. „Herr Simader ist ein toller Ansprechpartner, ihm kann man auch etwas anvertrauen.“ Der Altstadt-Sheriff fühlt sich bestätigt: „Mensch sein, das ist meine oberste Prämisse“, sagt er.
Einsatz als Wegweiser
Simader muss weiter, sein Revier ist groß für einen einzigen Beamten. Hindurchzuhetzen kommt für ihn trotzdem nicht infrage. „Sonst sieht man ja nichts.“ Er konzentriere sich vor allem auf Menschen, die auffallen. „Das kennt man gleich, wenn jemand rein optisch nicht hierher passt. Da entwickelt man ein gutes Bauchgefühl“, erklärt Simader – und wird abrupt unterbrochen. Ein älterer Herr auf Krücken winkt ihn aufgeregt zu sich. „Entschuldigen Sie“, fragt er beinahe schüchtern. „Wie komme ich denn mit der U-Bahn am schnellsten zum Marienplatz?“ Simader nimmt sich Zeit, spricht ruhig und erklärt Kurt Wachinger, so heißt der Rentner, den richigen Weg. „In der Stadt verändert sich so vieles“, sagt der 88-Jährige aus Feldmoching. „Gut, dass es solche freundlichen Polizisten gibt.“ Als Wachinger mit der Rolltreppe Richtung U-Bahnsteig fährt, setzt Andreas Simader seinen Weg gemächlich fort. „Gerade von älteren Menschen erfährt man viel Dankbarkeit“, sagt er.
Der 44-Jährige weiß, dass seine Anwesenheit nicht immer und jedem Freude bereitet. Doch gerade in schwierigen Situationen wie Schlägereien sei es wichtig, Ruhe zu bewahren. „Es ist ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewegen muss“, erklärt Simader. „Immer zwischen absoluter Respektsperson und gutem Freund.“
Grüße aus bella Italia
Am Platz der Opfer des Nationalsozialismus will Simader eigentlich von der Bettlerproblematik im gegenüberliegenden Maximiliansplatz erzählen. Da klopft es hektisch an einem großen Schaufenster. Dahinter fuchtelt Pasquale Tortorella wie wild mit seinen Armen und winkt den Kontaktbeamten zu sich herein. „Bongiorno, wollen Sie einen Espresso“, begrüßt er den Uniformierten. Simader nimmt sich Zeit, erkundigt sich nach Tortorellas Familie in Italien. Doch der 43-Jährige will lieber über München sprechen. Vor seinem Lokal Pietra Piccina liegen am Wochenende immer wieder Glasscherben. Den Gastronom stören die Hinterlassenschaften der Nachtschwärmer. Simader wird die Problematik an seine Kollegen weitergeben, damit die ein Auge darauf haben.
Amtsperson und Mensch
Im nächsten Fall braucht der erfahrene Beamte keine Unterstützung. Auf dem Gehweg am Maximiliansplatz steht ein nachtschwarzer Land Rover, der die Fläche für Fußgänger blockiert. „Ein alter Bekannter“, brummt Simader und steuert auf die Eingangstür einer Immobilienfirma zu. „Oh mei“, raunt ihm Beppo Schwimmer hinter seinem Computerbildschirm, als er den Polizisten erblickt. „Ich weiß schon, mein Auto“, seufzt der 71-Jährige mit schelmischem Grinsen. „Ich fahr sofort weg.“
Er parke regelmäßig auf verbotenen Flächen, gesteht Schwimmer. Die vielen Strafzettel nehme er in Kauf. „Wir bekommen keinen Parkausweis und ein Stellplatz in einer Garage kostet locker 400 Euro im Monat“, erklärt er. „So komisch es klingt, aber mit Falschparken komme ich günstiger weg.“ Simaders Auftreten findet Beppo Schwimmer vorbildlich. „Er weist mich auf meinen Verstoß hin, bleibt dabei aber menschlich“, sagt der Geschäftsmann. „Da überlege ich es mir wirklich, dass ich mich beim nächsten Mal woanders hinstelle.“