Es ist der 18. Februar 1943 in München. Sophie und Hans Scholl werden im Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität verhaftet, weil sie von den Galerien des Lichthofes Flugblätter geworfen haben. Darin rufen sie zum Widerstand gegen das NS-Regime auf. Am selben Tag wird auch Willi Graf festgenommen, Christoph Probst und Alexander Schmorell können zunächst untertauchen.
Es ist der 18. Februar 1943 in Prag. Die Gestapo sucht Eva Hönigschmid in ihrer Wohnung auf und verhört die zweifache Mutter. Die Nazis vermuten, Hönigschmid gewähre Schmorell Unterschlupf. Eine Woche lang wird die junge Frau beschattet. Dann plötzlich, so erzählt Eva Hönigschmid, habe ihr die Gestapo mitgeteilt: „Wir werden Sie nicht mehr behelligen.“ Und leise fügt sie an: „Da habe ich geahnt, was passiert ist.“
Eva Hönigschmid ist heute 98 Jahre alt, lebt in Bergkirchen im Landkreis Dachau. Sie ist wohl eine der letzten noch lebenden Zeitzeuginnen, die Mitglieder der „Weißen Rose“ persönlich gekannt hat. Eine, die über ihre Erinnerungen spricht. Am Sonntagabend tut sie dies nach dem Gedenkgottesdienst für die Weiße Rose im Pfarrsaal neben der Ludwigskirche. Die Geschwister Scholl hat Hönigschmid zwar nicht kennengelernt, wohl aber Christoph Probst und Alexander Schmorell.
Eva Hönigschmid wird am 6. Februar 1920 in Mähren geboren. Im April 1939 kommt sie als Studentin nach München. Sie treibt viel Sport, ist leidenschaftliche Fechterin. Beim Unisport sagt ihr ein Trainer, er kenne zwei junge Männer, mit denen sie fechten könne: Christoph Probst und Alexander Schmorell. Sie freundet sich an, besonders mit Schmorell: „Nach dem Fechten gingen wir oft auf ein Gläschen in eine Weinstube in der Amalienstraße.“ Schmorell, ebenfalls Student, habe immer viel erzählt – voller Begeisterung. „Er hatte große, strahlende blaue Augen“, erinnert sich die 98-Jährige. „Er hatte eine russische Seele und hat sehr von seiner Mutter geschwärmt.“
Doch schon 1940 heiratet Eva Hönigschmid ihre Jugendliebe. Mit ihrem Mann Wolfgang, einem Arzt, ist sie 65 Jahre lang glücklich liiert. Im Juli 1940 kehrt sie zurück in ihre Heimat und bekommt ihr erstes Kind. Hönigschmid und Schmorell schreiben sich in den beiden folgenden Jahren viele Briefe. Von der Gründung der Weißen Rose habe sie zunächst nichts gewusst. Nur eines war klar: „Wir haben immer in Angst und Sorge gelebt.“
Im Januar 1943 kehrt Eva Hönigschmid für ein paar Tage nach München zurück. Alexander Schmorell weiht sie in die Pläne der Bewegung Weiße Rose ein. Der Widerstandskämpfer bittet sie, Flugblätter mit nach Prag zu nehmen und dort zu verteilen. Eva Hönigschmid sagt zu Schmorell, das könne sie nicht tun. Sie habe zwei kleine Kinder, und ihr Mann sei im Krieg. Und dann? „Ich sehe sein trauriges Gesicht noch heute vor mir.“ Sie sieht ihn nie mehr.
Die 98-Jährige erzählt so klar, als wenn es gestern gewesen wäre. Dass die Mitglieder der Weißen Rose, dass ihr Freund Alexander Schmorell von den Nazis hingerichtet wurden, das ahnt sie zunächst nur. Letztlich erfahren hat sie es erst nach dem Krieg, als sie die Familie von Schmorell trifft.
Eva Hönigschmid kommt auf die emotionalen Briefe zu sprechen, die die Mitglieder der Weißen Rose im Angesicht des Todes an ihre Liebsten verfasst haben. „Unbeschreiblich“, sagt sie. Noch wenige Tage vor seiner Exekution habe der Widerständler Willi Graf geschrieben, es tue ihm nur leid um seine Eltern. Kein Wort über sich selbst. „Das ist wahre Größe“, sagt die Zeitzeugin. Sie empfindet Bewunderung und fühlt Bitterkeit. Und dann, das Allerschlimmste: „Wissen Sie, das waren prachtvolle Menschen . . . , die einfach geköpft wurden. Diese Vorstellung ist ganz entsetzlich.“
Nach den Kriegswirren muss Hönigschmid ihre Heimat in Mähren verlassen und siedelt sich mit ihrem Mann im Landkreis Dachau an. Sie bekommt zwei weitere Söhne. Mittlerweile hat sie außer ihren vier eigenen Kindern sechs Enkel und neun Urenkel. Hönigschmid hat immer Musik und Literatur geliebt.
An ihrem 90. Geburtstag kommt es noch einmal zu einer besonderen Begebenheit. Sie erfährt, dass der Holocaust-Überlebende und NS-Zeitzeuge Max Mannheimer auch am 6. Februar 1920 in Mähren geboren ist. Kurzerhand ruft Hönigschmid ihn an. Fortan treffen sie sich immer wieder, es entsteht eine große Freundschaft. Einmal sagt sie: „Wir nennen uns Zwillinge und wir sprechen Tschechisch miteinander.“ Hönigschmid bezeichnet Mannheimer, gestorben am 23. September 2016, als einen „fabelhaften Mensch“.
Seit dem 6. Februar 2018 heißt der Platz vor dem NS-Dokumentationszentrum in München „Max-Mannheimer-Platz“, bei der Feierstunde zu Ehren des Mannes, der unzähligen jungen Menschen von den ungeheuerlichen Erlebnissen in Konzentrationslagern erzählt hat, kann Hönigschmid nicht anwesend sein. „Leider ging es mir an dem Tag nicht gut“, sagt sie.
Am 18. Februar 2018 wird Eva Hönigschmid in der Ludwigskirche an die Weiße Rose erinnern. Der 18. Februar 1943 wird für München unvergesslich bleiben.