Die politischen Reaktionen am Abend des 5. November waren gemischt. Während die Initiatoren des Bürgerbegehrens „Raus aus der Steinkohle“ frohlockten, herrschte bei den großen Parteien im Rathaus Kopfschütteln. SPD-Chef Alexander Reissl erklärte: „Das Begehren und die Konsequenz daraus sind unsinnig.“ CSU-Chef Manuel Pretzl empfand die geringe Wahlbeteiligung als schade. „Aber das Thema interessiert wohl nicht richtig.“ Spätestens jetzt wird es aber viele interessieren. Denn die Stadtwerke untersuchen nach Informationen unserer Zeitung derzeit elf Standorte in München, um dort Gaskraftwerke zu bauen. Sie sollen ab 2022 den stillgelegten Kohleblock im Heizkraftwerk Nord in Unterföhring ersetzen.
Beim Bürgerentscheid „Raus aus der Steinkohle“ hatten an jenem 5. November 118 513 Münchner zugestimmt, den Kohleblock im Heizkraftwerk Nord bereits 2022 stillzulegen. 78 218 Bürger stimmten mit Nein. Die Wahlbeteiligung lag lediglich bei 17,8 Prozent. Die Stadtwerke hatten zuvor eine Stilllegung des Kraftwerks für die Jahre 2027 bis 2029 avisiert.
Dass das Votum Folgen haben wird, war klar. Das Kraftwerk in Unterföhring erzeugt 900 Megawatt Fernwärme und versorgt die Heißwassernetze Nord und Freimann sowie das Dampfnetz Innenstadt. Dazu werden in einem Block jährlich 800 000 Tonnen Steinkohle verheizt und in zwei Blöcken 650 000 Tonnen Restmüll verbrannt. Ob der Kohleblock abgeschaltet wird, entscheidet letztlich die Bundesnetzagentur. Die ist mit der Aufsicht über die deutschen Stromnetze betraut. Sie muss sicherstellen, dass genug Energie ins Netz eingespeist wird, um die Bedarfe zu decken. Sollte der Kohleblock systemrelevant, also für die Versorgung der Bürger unerlässlich sein, würde er 2022 nicht abgeschaltet.
Gleichwohl rüsten sich die Stadtwerke nun für eine positive Entscheidung. Das Unternehmen untersucht derzeit Standorte im Bereich des Kreativquartiers an der Dachauer Straße, auf dem Areal Birketweg/Post-Briefzentrum sowie an den Kliniken an der Thalkirchner Straße auf Tauglichkeit, um dort Gaskraftwerke zu errichten. Ferner geprüft werden Flächen am Nussbaumpark, am Ostrand des Ostparks, an der Katharina-von-Bora-Straße, am Heizwerk Theresienstraße, nördlich des Hügels am Luitpoldpark, am Parkplatz des Cosimabades sowie am Umspannwerk an der Landshuter Allee und an der Ecke Dülfer-/Raheimstraße.
„Wir müssen ja die Heizleistung irgendwie ersetzen“, sagt ein Insider. Die Größe der jeweiligen neuen Gebäude sei unklar, auch die Frage nach den Kosten. Entstehen sollen aber wohl mindestens fünf, eher sechs neue Gaskraftwerke. Dort wird mithilfe von vorzugsweise Erdgas Wasser erhitzt, das dann durch die Fernwärmeleitungen gepumpt wird. Das Verbrennen von Gas gilt als weniger umweltschädlich als die bisherige Kohleverbrennung, weil weniger CO2 emittiert wird. Im Vorjahr hatte der Kohleblock des Heizkraftwerks 1,7 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid ausgestoßen. Das entspricht etwa der Menge des gesamten Münchner Autoverkehrs.
Kritiker des Kohleausstiegs hatten stets ins Feld geführt, dass neue Kraftwerke einige Jahrzehnte in Betrieb sein müssten, damit sich am Ende die Investitionen rechnen. Ursprünglich wollten die SWM Mitte des kommenden Jahrzehnts aus der Energieerzeugung mit fossilen Brennstoffen aussteigen. Das Vorhaben dürfte sich wegen der neuen Gaskraftwerke verzögern. Die Planungen sind noch in einem sehr frühen Stadium, die Standorte nicht beschlossen. Erste Untersuchungen sollen demnächst in den Bezirksausschüssen vorgestellt werden. Begonnen wird am 22. Februar in Schwabing-West.