Prozessauftakt gegen Schützen von unterföhring

„Das tun wir uns nicht an“

von Redaktion

VON johannes heininger

Alexander B. (38) ist der Mann, der am 13. Juni 2017 am S-Bahnhof Unterföhring das Leben einer ganzen Familie veränderte. An jenem Tag hatte er zuerst in der S-Bahn randaliert. Eine Polizeistreife rückte aus. Auf dem Bahnsteig in Unterföhring wurde der Routineeinsatz für Jessica Lohse und ihren Kollegen dann zum Albtraum. B. entriss Jessicas Streifenpartner die Dienstwaffe und schoss der Polizistin in den Kopf. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 38-Jährige im Zustand der Schuldunfähigkeit handelte.

Für B. wird es also darum gehen, ob er den Rest seines Lebens in einer psychiatrischen Anstalt verbringen muss – Jessicas Eltern Janet und Veiko konzentrieren sich derweil nur auf ihre Tochter, die sie „Jessi“ nennen. Sie liegt seit jenem furchtbaren 13. Juni im Wachkoma. Den Prozessauftakt will ihre Familie nicht verfolgen. Vater Veiko sagte unserer Zeitung am Sonntag: „Dafür vergeuden wir keine Energie.“

Die Familie tritt zwar indirekt als Nebenklagepartei auf – eine Anwältin ist mit einer Vollmacht ausgestattet. Nach München wollen die Eltern aber nicht kommen. Unsere Zeitung erreichte Familie Lohse gestern Vormittag, kurz bevor Mutter und Vater in eine sächsische Rehaklinik fuhren. So, wie sie es seit fast einem Jahr jeden Tag machen. „Unserer Jessi geht es den Umständen entsprechend gut“, sagt Veiko Lohse. „Und dann sind auch wir glücklich. Unsere Stimmung hängt nur von ihrem Zustand ab.“

Vor drei Wochen setzten die Ärzte der Polizeikommissarin, die in der Inspektion in Ismaning Dienst tat, ein künstliches Stück Schädeldecke ein. Die Mediziner hatten der Beamtin den ursprünglichen Knochen bei mehreren Notoperationen teilweise entfernen müssen. Die Kugel steckte tief, schädigte Teile des Gehirns irreparabel. Lange schwebte Jessi in Lebensgefahr, der Druck im Kopf stieg wegen Schwellungen des Gehirns bedrohlich stark an. Als die Ärzte das Schicksal der damals 26-Jährigen schon in Gottes Hände legen wollten, entschied sie sich für das Leben, wie ihre Eltern kurz vor Weihnachten erzählten. Seitdem macht ihre Tochter regelmäßig kleine Fortschritte.

„Sie spürt, wenn wir da sind“, sagt Vater Veiko: „Da sind wir uns ganz sicher.“ Inzwischen atme Jessi selbstständig, auch der Schluckreflex funktioniere immer besser. Mittlerweile sei ihre Tochter unter dem Pflegepersonal der Rehaklinik „zum Liebling der Station“ geworden, erzählt die Familie. Seit ihre natürliche Kopfform mit Hilfe des Plastikdeckels wiederhergestellt wurde, sei sie zudem weniger schläfrig. Wie es langfristig weitergehen wird mit Jessis Genesung: Da traut sich bislang niemand eine Aussage zu.

Momentan freut sich die Familie über das Frühlingswetter. Auch Jessis Freund, der in München lebt und arbeitet, besucht seine große Liebe regelmäßig. Dann schiebt er sie für Spazierfahrten im Rollstuhl durch den Klinikpark. „Man merkt dann, dass sie sich entspannt“, sagt Veiko.

Die Familie will sich auch in den kommenden Wochen mehr mit ihrer Tochter als mit jenem Mann beschäftigen, der ihr Leben bis ins Mark erschüttert hat. Für die Lohses ist Alexander B. kein Thema. „Wir verfolgen den Prozess nicht. Nicht über den Fernseher, nicht über Zeitungen“, sagt der Vater mit Nachdruck. Mutter Janet sollte ursprünglich als Zeugin aussagen und über den Gesundheitszustand ihrer Tochter berichten. „Aber das tun wir uns nicht an. Wir haben ohnehin viel um die Ohren“, sagt Veiko. Alle Energie müsse man in die Genesung ihrer Tochter stecken. Denn egal wie der Prozess ausgehe: Alexander B.s Leben werde letztlich so weitergehen wie vor dem 13. Juni 2017, meint Vater Veiko. „Er kann essen, schlafen, sich etwas im Fernsehen anschauen. Nur für Jessi hat sich alles verändert.“

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