Die Tränen laufen langsam über seine Wangen. Alexander B.’s Augen sind rot unterlaufen, seine Brille beschlägt, aber er nimmt sie nicht ab, sondern sitzt weiter ruhig auf der Anklagebank. „Es ist viel zu verstehen für mich“, sagt er. Ein Moment verstreicht. Dann fügt er hinzu: „Es tut mir sehr leid, was passiert ist.“
Es sind die letzten Worte im Prozess um die Schießerei am S-Bahnhof in Unterföhring. Am 13. Juni 2017 hatte Alexander B. dort der Polizistin Jessica Lohse (27) in den Kopf geschossen. Sie liegt im Wachkoma. Wegen versuchten Mordes stand B. vor Gericht, galt von Beginn an aber als schuldunfähig. Denn er leidet an paranoider Schizophrenie. Im Wahn fühlte er sich von Lohse und ihrem Kollegen Karl-Heinz I. (31) bedroht, stieß diesen erst um und nahm I. im Gerangel die Dienstwaffe ab, mit der er die Polizistin schwer verletzte.
„Es ist eine besondere Tra-gödie“, sagte Richter Philipp Stoll am Freitag. Er ordnete die dauerhafte Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie an, denn aufgrund seiner Krankheit stellt Alexander B. eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. B. habe aus Todesangst gehandelt, als er zunächst Karl-Heinz I. (31) attackierte. 23 Sekunden lang dauerte anschließend die Schießerei. Das Hirn von Jessica Lohse (27) wurde nahezu vollständig zerstört, sie kann nicht kommunizieren und ist rund um die Uhr auf Pflege angewiesen. Es sei unwahrscheinlich, dass sich ihr Zustand bessern wird, sagte ein Gutachter im Prozess aus.
„Sie war eine verdammt gute Polizistin“, würdigte Nebenklage-Anwältin Annette von Stetten das Opfer. „Freundlich und beliebt, nah am Menschen, der Streifendienst war genau ihr Ding.“ Mit ihrem Freund Tobias hatte Jessica Lohse Hochzeitspläne. Ihre Eltern planten, ihre Rente in Bayern zu verbringen, um sich um künftige Enkel zu kümmern. Doch eine Kugel zerschmetterte alle Träume.
„Die Tat hat gezeigt, welchen Gefahren wir Polizisten ausgesetzt sind“, sagte ihr Kollege Karl-Heinz I. in einer emotionalen Ansprache – und fand harte Worte für Alexander B.: „Er hat das ganze Magazin leergeschossen. Man muss jedes Mal nachladen. Dieser Vorfall ist nicht zu entschuldigen.“ Er selbst habe „Glück gehabt, dass ich überlebt habe“. Offen blieb im Prozess aber, wie es möglich war, dass ein Beamter sich die Waffe abnehmen lässt. Darauf konnte auch I. keine Antwort geben.
Zum Urteil äußerte sich am Freitag auch Polizeipräsident Hubertus Andrä, der nicht an der Verhandlung teilgenommen hatte: Die Tat bleibe für die Münchner Polizei „in schmerzhafter Erinnerung“. Dennoch müsse man „bei dem verständlichen Gefühl nach Sühne“ bedenken, dass „der Täter zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war“. Mit Jessica Lohse und ihren Angehörigen werde die Polizei in Kontakt bleiben, versprach Andrä, und sie „nach Kräften in allen Belangen unterstützen“.
„Unser aller Mitgefühl ist bei dem Opfer und seiner Familie“, sagte auch Verteidiger Wilfried Eysell. Reue aber könne man von Alexander B. nicht erwarten. „Er ist krank.“ Deshalb sei Unterbringung der logische Schritt.
Tragisch sei die Tat auch für Alexander B., betonte Richter Stoll: „Er ist Opfer seiner selbst.“ B. sei wie aus einem Albtraum erwacht und habe feststellen müssen, dass es kein Traum war. Und tatsächlich war dieser Zustand der Verwirrung Alexander B. bis zum Schluss im Gerichtssaal anzumerken: Sediert von den starken Medikamenten reagierte er selten auf die Aussagen der Zeugen. Seine Tat verstand er erst, als das Video der Schießerei öffentlich gezeigt wurde. Wie auf einen Fremden hatte er da geblickt: argwöhnisch, ungläubig – obwohl er sich selbst sah. Und zeigte keine Regung, bis zum Urteil, durch das er nun weggesperrt wird. „Zu nehmen ist ihm nur eines“, sagte Karl-Heinz I., „seine Freiheit“.