gedenken an die Opfer des OEZ-Attentats

Als wäre es erst heute geschehen

von Redaktion

von kathrin braun

Eine besondere Stille herrscht am Olympiaeinkaufszentrum. Und der Himmel weint mit den Angehörigen. Nazmije Sagashi kniet sich nieder. Sie hebt ihre rechte Hand, legt sie schützend auf das Bild ihrer Tochter Armela, streichelt liebevoll über ihr Gesicht. So als wäre Armela wirklich da. Die 14-Jährige ist einer der neun jungen Menschen, die am 22. Juli 2016 am OEZ sterben mussten. Nazmije Sagashi kann ihre Tränen nicht verbergen. Der Schmerz wütet noch immer in ihr. Reden will sie nicht. Nur trauern.

Etwa 150 Menschen versammeln sich am Sonntag um das Denkmal „Für euch“. Vier Mädchen singen leise: „Loving can hurt“ (Lieben kann weh tun). Die Anwesenden hören schweigend zu. Ihr Verlust schmerzt, die Wunden sind noch nicht verheilt. Die Gesichter der Familien erzählen von jenem 22. Juli, als der 18-jährige David S. am OEZ gezielt tötete. Jugendliche, die gerade mit Freunden eine Limo tranken oder bei McDonald’s etwas essen wollten. Acht der Opfer waren unter 21 Jahre alt. Einige hätten mittlerweile ihren Schulabschluss gemacht.

„Um die Trauer und den Schmerz zu überwinden, ist auch ein weiteres Jahr, das inzwischen vergangen ist, keine Zeit“, sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sichtlich bewegt. Dann fährt er fort: „Es war ein gezielter Anschlag auf das bunte, vielfältige und tolerante München.“ Zum Täter hat er eine klare Meinung: David S., der sich nach der Tat selbst richtete, sei rechtsextrem und rassistisch gewesen, die Morde hätten eine einschneidende Bedeutung für die Stadtgeschichte. Dann geht er zum Mahnmal und schweigt im Gedenken an die Opfer.

Der Regen wird stärker, Trauernde liegen sich in den Armen. Raba Ramadani legt Blumen ab. Tränen laufen über ihr Gesicht. Sie hat Dijamant (20) verloren. „Er war der Bruder meiner Schwiegertochter“, sagt die 59-Jährige. „Aber ich habe ihn geliebt, wie einen eigenen Sohn.“ Dijamant hätte noch einen Monat gebraucht, um seine Ausbildung am Flughafen fertig zu machen. An jenem Julitag saß er mit einem Freund draußen am OEZ, trank eine Limonade. Sein Freund konnte davonlaufen, als David S. das Feuer eröffnete. Dijamant schaffte es nicht. „Ich habe noch drei Tage vorher Pizza für ihn gebacken“, sagt Raba Ramadani. Der Gedanke daran entlockt ihr ein kleines Lächeln. Dann kommen ihr wieder die Tränen. „Er war so ein lieber Junge. Immer freundlich und hilfsbereit. Hat den Armen geholfen und seine Schwester im Kosovo unterstützt.“ Dass Dijamant nicht mehr lebt, kann sie kaum begreifen. „Er war noch jung, aber sein Herz war riesengroß.“ Oft fragt sie sich nach dem Warum. „Ich verstehe es zwar nicht, aber ich habe Vertrauen in Gott.“

Auch bei Freunden und Mitschülern sitzt der Schock noch tief. Furkan Hizietas (14) ging in die fünfte Klasse der Erich-Kästner-Realschule, als die schreckliche Nachricht kam: Zwei seiner Mitschülerinnen sind tot. Sabine und Armela gingen in die siebte und achte Klasse. „Ich kannte sie nur vom Sehen“, sagt er. Trotzdem trauert er – wie die ganze Schule – um die beiden Mädchen. „Am Anfang ist es uns allen sehr schwergefallen, das zu verarbeiten“, sagt Furkan. Heute wäre Armela in der zehnten Klasse. „Jetzt hätte sie wohl gerade ihren Abschluss gemacht.“

Das Mahnmal aus Edelstahl mit den Bildern der Toten ist in Form eines Ringes gestaltet, um den Zusammenhalt des Guten zu symbolisieren. „Mörderischer Hass darf nie über die Menschlichkeit triumphieren“, sagt Reiter am Ende der Trauerfeier.

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