München – Vielleicht ist auch alles ganz anders. Vielleicht hat Markus Söder seine Karriere doch dem Mann zu verdanken, der ihn seit nunmehr 15 Jahren auf dem Nockherberg verkörpert. Weil seit 2004 alle Bayern denken, er sei so, wie Stephan Zinner ihn spielt. Ausgschamt, hinterfotzig und selbstverliebt – aber halt doch „a Hund“, ein ziemlich cooler. Der Gedanke ist beileibe nicht neu, aber am Ende des Singspiels „Ein kleines Glück“, in dem Zinner wieder alle Register gezogen hat, drängt er sich förmlich auf.
Die Autoren Stefan Betz und Richard Oehmann freilich haben eine andere und sehr pfiffige Erklärung für Söders Erfolg: Der Mann, der im Vorjahr ins Umfragetief rauschte und ein historisch schlechtes Wahlergebnis für die CSU erzielte, kann heute nur als Landesvater strahlen, weil er unfassbares Dusel hat. Und dieses Dusel – einen kauzigen kleinen Kerl im Woll-Kostüm, gespielt von Gerd Lohmeyer – hat er in einen Spind im Wellness-Bereich unter der Staatskanzlei eingesperrt. Um ab und zu an ihm zu schnuppern.
Natürlich gibt Söder das nicht zu: „Die Zeit der One-Man-Show is over, vorbei“, schmalzt er im ersten Song des Abends in bester Las-Vegas-Manier und lila Jogginganzug. Hubert Aiwanger (mit Knieschonern: Florian Fischer) lügt er sogar vor, er habe sich das Ego verkleinern lassen, weshalb er nun nicht mehr „ich“ sagen könne. „War a ziemlich großer obberadiver Eingriff.“, fränkelt er. „Maggus Söder ist offener geworden, lässiger, jünger, weiblicher, schöner. Und er is a Bienenfreund.“
Von wegen Wellness: Wir sehen einen ziemlich ranzigen Keller (Bühne: Evi Stiebler). Gekachelte Tristesse, eine Bar, eine grindige Badewanne und eine gefährlich qualmende Heizungsanlage. Seitlich geht’s in die Saunen – und rechts ins „Stahlbad“ der AfD, aus dem immer mal wieder Artilleriefeuer und Wagners Walkürenritt dröhnen. „Da müsste mal was gemacht werden“, lautet nicht von ungefähr der Untertitel des Stücks.
Natürlich trifft das insbesondere auf die Volksvertreter zu, die nach und nach in die zwielichtige Räumlichkeit stolpern. Betz und Oehmann legen den Fokus diesmal auf die Bundespolitik: SPD-Chefin Andrea Nahles (Nikola Norgauer) tritt mit einem lauten „Meine Fresse, ey!“ die Tür ein, CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer kriecht verkatert von einem Discobesuch mit den Auto-Bossen hinter der Bar hervor.
Double Stefan Murr spielt Scheuer zum ersten Mal und ähnlich großartig wie einst Karl-Theodor zu Guttenberg. Sein Scheuer ist ein großspuriger, dabei ziemlich einfältiger Polit-Parvenü. „Party, Party, Party!“, skandiert der „Autoschmuser-Andi“ im festen Glauben, den Bossen bei Erdbeersekt und Nüsschen weitreichende Zugeständnisse abgeluchst zu haben. „Die bauen jetzt nur noch schadstoffarme Kleinwägen, betrieben mit Strom, Wasserstoff oder Eigenurin.“ Doch die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze weist ihm nach: Die schriftliche Übereinkunft ist nur der Bewirtungsbeleg vom P1. Scheuer ist auf der Zeche sitzengeblieben.
Überhaupt Schulze: Sina Reiß debütiert schlicht umwerfend als überdrehter Smartphone-Junkie. Alles will sie zu einer Instagram-Story verwursten – und nervt damit nicht nur Scheuer („Sie können ja froh sein, dass sie schon so alt sind – ich kann erst mit 40 Ministerpräsidentin werden, da muss ich noch ewig warten“). Auch OB Dieter Reiter (Gerhard Wittmann) muss sich von Schulze aufs Brot schmieren lassen, dass die Grünen bald München übernehmen. Der Song heißt „Sorry SPD“ und ist ziemlich böse.
Wieder einmal sind die Lieder von Tobi Weber und den Musikern vom Café Unterzucker ein Pfund, mit dem das Singspiel wuchert – egal, ob Radiopop, Reggae, Hip-Hop oder Gospel in Perfektion. Als Überraschung des Abends treten gar Marianne und Michael auf, die eine lupenreine Selbstpersiflage abliefern – und eine Satire auf das glückliche Bayern, das seine Konsumgüter billig im Ausland fertigen lässt. Anderer Höhepunkt: das Rap-Gefecht der großartigen Antonia von Romatowski als Angela Merkel mit Christoph Zrenner als Horst Seehofer – gegen die Kanzlerin im „Aggro-Berlin“-T-Shirt zieht er den Kürzeren.
Auch sonst springen die Singspiel-Macher mit dem vormaligen Ministerpräsidenten wenig zimperlich um. Seehofer geistert im Bademantel durch die Kulisse, er hat seinen Turnbeutel vergessen. Doch keiner beachtet ihn – so lange, bis der Ignorierte glaubt, er sei unsichtbar, und sich im Superheldenkostüm Allmachtsfantasien hingibt. Der Turnbeutel findet sich später im AfD-Stahlbad.
Manch andere Figur zündet weniger – trotz einer schauspielerischen Energieleistung wie im Falle von Norgauer. Bei ihrer Nahles beschränkt sich die Satire doch hauptsächlich auf die schrillen Manierismen des Vulkans aus der Eifel. Und Hubert Aiwanger ist trotz guter Gags nur Steigbügelhalter des Ministerpräsidenten – der ihn permanent mit dem falschen Vornamen anredet.
Ach ja, und das Dusel? Das kann irgendwann vor Söder fliehen – nur damit sich die anderen über es hermachen. Irgendwann hat jeder mal an ihm geschnuppert, das Dusel wird davon immer matter und fällt tot um. Die Politiker sind derweil so mit ihrem Glücksgefühl berauscht, dass sie die Gefahr, die vom langsam überhitzenden Boiler ausgeht, auf die leichte Schulter nehmen.
So ein Kessel ist ein simples Symbol und kann für vieles stehen: Klimakatastrophe, soziale Schieflage, Erstarken der Rechtsradikalen. Söder findet, er steht für Alarmismus. Als dann die Explosion kurz bevorsteht, tritt der Landesvater als Heilsbringer auf. Zinner röhrt den Gospel des Weiterwurstelns – und spätestens jetzt krümmt sich das Publikum vor Lachen: „Wir haben einen bewährten Masterplan: Schritt eins: Ich ernennen das Problem zur Chefsache. Schritt zwei: Wir bilden einen runden Tisch. Schritt drei: Wir machen ein Foto. Schritt vier: Wir warten bis ein neues Problem auftaucht, das vom alten ablenkt.“ Dann singen alle: „Des geht scho no, da werd scho nix passiern.“
Am Ende bleibt dreierlei: Das Nockherberg-Team kann stolz sein auf ein witziges Singspiel. Die Zuschauer können sich darin bestätigt fühlen, ja schon immer gewusst zu haben, wie Politik funktioniert. Und der Landesvater, der hat einfach a Massl. Er hat Stephan Zinner.