Beschwerlicher Alltag an der Baugrube

von Redaktion

Geschäftsleute am Sendlinger Tor durchleben wegen der U-Bahn-Baustelle schwere Zeiten

VON BETTINA ULRICHS

Der Baukrater am Sendlinger Tor ist ein riesiges, lautes, 25 Meter tiefes Loch mitten in der Innenstadt. Hier entsteht – im laufenden U-Bahn-Betrieb – ein sogenannter Zukunftsbahnhof. Bis 2022 wird an der Großbaustelle gebuddelt. Dann ist die Modernisierung des U-Bahn-Knotenpunkts abgeschlossen. Die riesige Baugrube ist vor allem eine tägliche Belastung für Bürger und Gewerbetreibende. Wie halten diese das Leben am Rand der Großbaustelle aus?

Besonders betroffen ist das bayrische Lokal „s’Wirtshaus“ am Sendlinger Tor. Genau vor der Eingangstür, dort, wo früher der Biergarten war, verstellt ein über zwei Meter hoher Bauzaun den Blick auf den Platz. „Klar versuchen Fußgänger das Sendlinger Tor zu meiden“, sagt Juniorchef Alexander Stoica. „Wer setzt sich schon gerne einer lärmenden Baugrube aus und hockt sich direkt daneben in einen Biergarten?“

Seine Gaststätte musste außerdem die Verlegung und Verkleinerung der Freischankfläche hinnehmen. Die Tische grenzen nun direkt an das benachbarte irische Pub an. „Die Gäste wissen gar nicht mehr, ob sie bei uns oder im Pub sitzen. Und meine Mitarbeiter sehen nicht, wer Platz genommen hat. Eigentlich müsste ständig jemand draußen bleiben.“

Die Hälfte des Umsatzes sei weg, so der Juniorinhaber. Er habe bereits die Öffnungszeiten um eine Nachtschicht reduziert. Nun versucht er, seine rund 30 Mitarbeiter zu halten und die lange Baustellenzeit zu überbrücken. Einige hätten bereits gekündigt, denn weniger Gäste bedeuten auch weniger Trinkgeld. Auch auf treue Mittags-Stammkunden, wie die Mitarbeiter von „Butlers“, müsse man verzichten. Das Geschäft, ehemals quer gegenüber, hat bereits dichtgemacht. „Wir können das nur irgendwie durchhalten, weil wir noch ein weiteres Gasthaus betreiben“, so Stoica. Er hofft sehr, dass wenigstens der Bauzaun direkt vor seinem Lokal bald verschwindet.

„Eigentlich müsste die Stadt uns Gewerbetreibenden eine Entschädigung zahlen“, sagt der Gastronom. Einfordern wolle er das jedoch nicht. Schließlich sei man als Wirt, allein schon wegen der Freischankfläche, auf eine gute Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung angewiesen.

„Es ist eine enorme Einschränkung“, bestätigt auch der Friseur Falah Hassan, Inhaber des „Sugar Style“ am Sendlinger-Tor-Platz. Kaum zwei Meter trennen seine Ladentür vom hohen Holzbauzaun. „Meine Mitarbeiter und die Kunden fühlen sich bedrängt. Mit dem Zaun vor der Nase hat man keine freie Sicht und irgendwie kaum Luft zum Atmen.“ Den Salon betreibt er trotzdem und hofft auf das Ende der Bauarbeiten oder zumindest eine baldige Fertigstellung dieses Bauabschnitts. Konkrete Umsatzeinbußen kann der Friseur allerdings nicht benennen. „Ich habe das Geschäft erst während der Baumaßnahmen übernommen. Leider war mir nicht bewusst, wie lange diese Großbaustelle andauert.“

Den genauen Vergleich kennt jedoch Ingo Beer, der gegenüber am Rondell des Platzes, nahe der ADAC-Geschäftsstelle, die Marien-Apotheke betreibt. „Die Frequenz der Kunden hat deutlich nachgelassen. Meine Apotheke ist oberirdisch durch all die Baustellentrassen und -ampeln kaum noch zu erreichen“, sagt der Pharmazeut. Anfangs habe er in der U-Bahnstation große Plakate und auch Displaywerbung geschaltet, damit die Kunden wissen, dass es die Marien-Apotheke weiter gibt und welcher Weg sie hinführt. Das sei mittlerweile gar nicht mehr möglich. Unterirdisch gibt es nur noch Baustellenzäune, abgehängte Wände und Gerüste.

An einen Umzug der Apotheke sei jedoch nicht zu denken. „Meinen 20 Mitarbeitern kann ich nicht einfach kündigen. Wir versuchen durch ein kundenspezifisches Warenlager unsere Stammpatienten zu halten und müssen die Baustelle eben leider aussitzen.“ Zu Weihnachten werde er auch wieder die Öffnungszeiten anpassen. „Es hat leider keinen Sinn, wie früher während des Weihnachtsmarktes am Sendlinger Tor länger zu öffnen.“

Dass Passanten und Kunden das Sendlinger Tor links liegen lassen, bestätigt auch Andreas Klose von der Rosa Liste, der Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA). „Die Aufenthaltsqualität ist hier gleich null. Als Radler umfahre ich den Platz weiträumig, auch der Autoverkehr hat abgenommen.“ Man sei einfach nicht mehr dort und vermeide es so, sich dem Baulärm und den umgeschwenkten Fahrtrassen auszuliefern. „Radfahrer fühlen sich auf den Ausweichspuren stark bedrängt, als Fußgänger braucht man mehrere Ampelphasen, um zu queren. Für die Geschäfte ist das natürlich bitter, teilweise sind ganze Freischankflächen entfallen.“

Viele Beschwerden von Gewerbetreibenden oder Anwohnern gehen beim BA allerdings nicht ein. „Die Leute wissen wohl, dass man einfach durchhalten muss, damit hier der U-Bahnverkehr besser rollen kann“, sagt Andreas Klose.

Er selbst denkt schon an die Zeit nach der Großbaustelle und kann sich vorstellen, dass dann die Fahrspuren auf der Sonnenstraße reduziert werden. „Im Stadtrat werden gerade Konzepte für mehr Raum für Radfahrer und Fußgänger diskutiert und umgesetzt. Da könnte ein Boulevard Sonnenstraße mit nur noch einer Autofahrspur pro Richtung direkt an die lange Baustellenzeit anschließen“, meint der Stadtteilsvorsitzende. „Das würde auch den Sendlinger-Tor-Platz ganz neu beleben.“

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