Menschenmassen, Schulter an Schulter. Laute Beats donnern aus den Boxen, die Wiesen voller Bierflaschen, Mülleimer quellen über. Süßliche Rauchschwaden wehen über den Platz, hin und wieder mischt sich ein beißender Urin-Geruch dazwischen. Diesen Sommer spielt sich das Münchner Nachtleben – mehr denn je – im Freien ab. Die Clubs und Bars? Wegen Corona geschlossen. Die Anwohner der beliebten Treffpunkte am Gärtnerplatz, Wedekindplatz und Josephsplatz sind Kummer gewöhnt – heuer hat sich die Situation jedoch deutlich verschärft.
Bereits seit fünf Jahren sind Mitarbeiter des „AKIM“ (Allparteiliches Konfliktmanagement in München) im Auftrag des Sozialreferats am Gärtnerplatz unterwegs. Sie versuchen das Feiervolk zu beschwichtigen und für Rücksicht auf Anwohner zu werben. „Durch den Einsatz der Teams ist es erst etwas ruhiger geworden. Aber seit Corona ist es definitiv zu viel, was hier los ist. Alles ist vermüllt, man kann bei offenem Fester nicht mehr schlafen und die Leute pinkeln an die Hauswände“, echauffiert sich der Anwohner Lukas Laibacher (31, Grafikdesigner).
Die AKIM-Mitarbeiter kämpfen oft gegen Windmühlen. Zwar würden viele Besucher zunächst verständnisvoll reagieren, doch schon einige Minuten nach dem Gespräch werden die Boxen wieder aufgedreht. Mit anderen könne man gar nicht reden. Zu hoch sei die Aggression, berichtet das Team.
Aber wo sollen die jungen Menschen hin, in einer Zeit, in der alle Partygastronomen ihre Türen geschlossen halten müssen?
Bis 21.30 Uhr ist es noch ruhig am Gärtnerplatz. Zwar sind viele Leute da, diese halten aber Abstand, sind nicht zu laut und trinken friedlich ihr Bier oder ihren Prosecco. „Ein bisschen Stil muss sein. Wir holen uns die Bar-Atmosphäre einfach nach draußen, sind aber bemüht, niemanden zu stören“, sagt Maxi D. (31) und schwenkt ihr Prosseco-Gläschen. Einige Meter weiter sitzen zwei Männer auf einer mitgebrachten Bank. „Wir haben eine Alternative gebraucht, um uns abends zu treffen“, sagen Max Kling (31) und Thomas Kress (29). Der Ingenieur und der Kinderbuchautor seien sonst oft in Clubs und Bars unterwegs gewesen – jetzt sind sie kreativ geworden. „Wir haben uns eine Viererbank mit integriertem Trinkspiel gebaut“, amüsieren sich die beiden. „So können wir draußen sitzen und Leute kennenlernen, aber wir verstehen die Anwohner auch, daher drehen wir keine Musik auf und versuchen, nicht zu laut zu sein“, sagt Kling.
Ab etwa 22.30 Uhr wendet sich jedoch das Blatt, die Stimmung verändert sich spürbar. Dabei ist es ein kühler Abend, das Thermometer klettert nicht über 17 Grad und ein frischer Wind weht durch die Stadt. Totzdem strömen immer mehr Menschen aus allen Richtungen auf den Gärtnerplatz. Die Gruppen werden größer, die Musik lauter, es wird gejohlt. Zur Krönung dreht sogar ein knatternder Traktor mit jubelnden Menschen seine Runden um den Platz.
Die Lautstärke dringt in die Schlafzimmer der Anwohner und raubt vielen den Schlaf. Geschlossene Fenster und Ohrenstöpsel sind ihre einzigen Hilfsmittel. „Mir ist klar, dass ich in einem belebten Viertel wohne, das mag ich auch. Aber heuer ist es wirklich schlimm“, sagt der Anwohner Bjørn Grunau (42). Der Selbstständige würde sich eine Sperrzeit wünschen. „Wenn am Wochenende bis 24 Uhr was los ist, ist es ja okay. Aber dann sollten die Leute weiterziehen, an die Isar oder irgendwohin, wo sie niemanden stören.“ Teils gehe der Lärm bis in die frühen Morgenstunden. „Ich habe noch Glück, dass mein Schlafzimmer nicht direkt zur Straße raus geht, in heißen Sommernächten höre ich trotzdem alles“, sagt Grunau.
Der vergangene Samstag sei laut Anwohnern und AKIM-Mitarbeitern noch lange nicht „das höchste der Gefühle“ gewesen. In wärmeren Nächten könne man nicht mal mehr über die Wege gehen, alles sei voll, wie bei einem Konzert. Grunau ist sich sicher: „Es braucht eine Regelung, damit das Feiern hier mit Maß und Ziel stattfindet. Denn wenn es eine zweite Corona-Welle gibt, ist der Gärtnerplatz sicher der erste Hotspot.“
Ruhig wird es an diesem Samstagabend erst um kurz vor drei Uhr. Um die 100 Menschen feiern um diese Zeit noch, dann kommt die alarmierte Polizei und die letzten Feierwütigen gehen friedlich nach Hause.