Seit Freitag ist also „Sommer in der Stadt“ – aber wer meint, wir Münchner halten es bis Anfang Oktober mit der „Spider Murphy Gang“, der irrt. Ich renne in den nächsten Wochen garantiert nicht nackert durch den Englischen Garten und schaue auch nicht im Eiscafé Rialto den jungen Hasen nach, allein deshalb, weil ich grundsätzlich nicht „Hasen“ sage, wenn ich „Schnecken“ meine – und das mit der Formulierung „attraktive Frauen“ politisch korrekt ausdrücke. Der Sommer in der Stadt 2020 hat also wenig zu tun mit dem gleichnamigen Lied aus dem Jahr 1982. Er ist lediglich eine nette Geste: Das Münchner Oktoberfest wird über die ganze Stadt verteilt, damit die Schausteller in einem Jahr ohne Volksfeste trotzdem ein paar Euro verdienen. Das Kinderkarussell steht am Weißenburger Platz und die Wildwasserbahn im Olympiapark– ein spektakulärer Sicherheitsabstand.
Das bedeutet aber auch: Wer über die dezentrale Wiesn bummelt, absolviert ganz nebenbei den München Marathon. Urplötzlich versteht man den sonderbaren Wiesn-Trend der letzten Jahre, zur Tracht Wanderschuhe zu tragen. Und auch die E-Scooter bekommen einen neuen Sinn. Im letzten Jahr dienten sie dazu, auf dem Heimweg die Betrunkenen zu markieren. Die Anzahl der Personen auf dem Roller entsprach dabei in etwa dem Promillewert des Fahrers. Heuer dagegen sind die Roller das beste Verkehrsmittel für die Schaustellerstraße, die genau genommen eine Schaustellerstadt ist.
Freilich: Im Detail stellen sich Fragen. Zum Beispiel: Wenn es keine Wiesnmarken gibt – wie soll sich dann ein durchschnittlicher Bauträger bestechen lassen? Lohnen sich Freundschaften überhaupt, wenn heuer keiner einen Wiesntisch hat? Und wo findet man seine betrunkenen Begleiter, wenn der berühmte Hügel hinter den Bierzelten nicht mehr so nahe liegt, dass sie bloß umfallen müssen? – Scheinbar kümmert sich der „Sommer in der Stadt“ nur um die Probleme aus der Schaustellerstraße. An die Bierzelte denkt wieder keiner, außer ich natürlich, und das voller Sehnsucht.
Ich bin jedenfalls gespannt, ob es den Münchnern gelingt, auch mit einer dezentralen Wiesn für eine Wiesn-Stimmung in der Stadt zu sorgen. Ende September kann in München traditionellerweise jeder mit jedem. Aber „jeder mit jedem“, das ist im Corona-Zeiten vermutlich nicht die beste Idee.
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