„Lange schau ich da nicht mehr zu“

von Redaktion

Sommer-Interview: OB Reiter spricht über den Gärtnerplatz und Sparzwänge

Ein Sommerspaziergang an der Isar. Münchens OB Dieter Reiter (SPD) macht eine Stippvisite an der Floßlände. Seit Anfang Juli gibt es dort wieder eine Welle. Reiter unterhält sich mit den Surfern. Die jungen Sportler freuen sich, dass die Floßlände nach Jahren endlich wieder surfbar ist. „So viel Dankbarkeit erlebt man nicht immer“, sagt der OB. Während des Spaziergangs wird Reiter (62) von vielen Passanten, Radfahrern oder Joggern freundlich gegrüßt oder angesprochen. Im Sommer-Interview mit unserer Zeitung äußert sich das Stadtoberhaupt zur Feierkultur in Corona-Zeiten, zu Sparzwängen und zu seinem Urlaub. Teil zwei des Interviews lesen Sie in der morgigen Ausgabe.

Herr Reiter, standen Sie selbst schon mal auf einem Surfbrett?

Gesurft bin ich noch nie, ich habe lieber festen Boden unter den Füßen. Aber ich bewundere diese Sportler. Wie sie so grazil über die neue Welle surfen. Toll. Aber es ist nicht meine Sportart.

Und was ist Ihre bevorzugte Sportart?

Bekanntermaßen interessiere ich mich sehr für Fußball. Ich habe auch selbst 20 Jahre lang leidenschaftlich – allerdings eher erfolglos – gespielt. Auch Tennis und Tischtennis. Also alles, was mit Ball und Schläger zu tun hat. Derzeit komme ich übers gelegentliche Radfahren nicht hinaus . . .

. . . womit Sie sich fit halten?

Na ja, so weit es eben geht. Ich versuche, viel zu Fuß zu gehen. Aber für aktiven Sport bleibt kaum Zeit. Mein Wunsch war immer, zumindest einen Nachmittag im Büro für Sport freizuschaufeln. Hat bisher in sechseinhalb Jahren Amtszeit nicht geklappt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Die Freizeitgestaltung in Zeiten von Corona wird heiß diskutiert. Wie bewerten Sie die Situation an der Isar oder am Gärtnerplatz?

Auf der einen Seite habe ich Verständnis für die Menschen, die bei dem schönen Wetter raus wollen. Zugleich haben wir die schlimmste Gesundheitskrise seit Jahrzehnten, weltweit. Deswegen muss man diese Zusammenkünfte unter einem etwas kritischeren Blickwinkel sehen als zu normalen Zeiten. Sprich: Wir müssen etwas gegen diese sogenannten Hotspots tun. Ich kann nicht zusehen, wie sich an Wochenenden regelmäßig Hunderte oder Tausende am Gärtnerplatz treffen, um unter Alkoholeinfluss gegen die Corona-Vorsichtsmaßnahmen zu verstoßen: ohne Maske, ohne Abstände. Das kann ich niemandem erklären, der abends allein im Bus sitzt und Maske tragen muss.

Das Feiern am Gärtnerplatz ist nichts Neues.

Ich kenne das Thema, da war ich noch Wirtschaftsreferent. Es begleitet die Stadt seit Langem und war immer ärgerlich für die Anwohner. Doch man musste hier abwägen zwischen dem Lebensgefühl einer Millionenstadt und dem, was tatsächlich an Schaden entsteht. Jetzt aber geht es um den Gesundheitsschutz für alle. Somit eine völlig andere Fallkonstellation als in der Vergangenheit.

Was gedenken Sie zu tun?

Ich werde auf jeden Fall als Oberbürgermeister diesem Treiben am Gärtnerplatz nicht weiter tatenlos zusehen.

Ein Alkoholverbot wäre demnach denkbar?

Das will ich nicht ausschließen.

Permanent?

Nein, das braucht es nicht. Ich will auch kein generelles Betretungsverbot aussprechen. Aber ich könnte mir ein nächtliches Alkoholverbot vorstellen. Dazu gehört auch, den Verkauf von Alkohol in einem vernünftigen Umkreis um den Platz zu untersagen.

Wer soll das kontrollieren?

Letztlich die Polizei. Aber die hat ein Problem, etwas zu kontrollieren, das nicht verboten ist. Die Stadt muss also die Voraussetzungen schaffen, damit die Polizei und der Kommunale Außendienst auch tätig werden können. Die vielen Appelle an die Feiernden haben bisher nicht gefruchtet. Daher bin ich es leid, jedes Wochenende das gleiche Drama zu sehen – und gleichzeitig steigen die Fallzahlen und damit das Ansteckungsrisiko.

Sie waren ja selbst bis Mitte August ein paar Wochen im Urlaub. Wo haben Sie abgeschaltet?

In Oberbayern. Meine Frau und ich haben die vielen schönen Seen genossen: Tegernsee, Spitzingsee, Starnberger See. Wir waren noch nie passionierte Fernreisende. Insofern war das für uns kein Verzicht. Es ist einfach schön in Bayern.

Sie haben in Ihrer Position viel Kontakt mit Menschen. Lassen Sie sich regelmäßig auf das Corona-Virus testen?

Nicht regelmäßig, aber ich habe mich vor einigen Wochen testen lassen: negativ. Doch ich hatte auch keine Symptome und war in keinem Risikogebiet. Auf jeden Fall ist es immer wichtig, sich strikt an die Regeln zu halten. Wenn ich das Gefühl hätte, mir fehlt was, würde ich mich sofort testen lassen. Mittlerweile habe ich auch einen Crash-Kurs über die Symptome gemacht . . .

. . . wie bitte, einen Crash-Kurs?

Ja, unsere Virologen und Mediziner haben mir gesagt, was die ersten Anzeichen einer Infektion sind.

Nämlich?

Geschmacksverlust und Geruchsverlust. Wer morgens den Kaffeeduft nicht mehr riecht, sollte sich sofort testen lassen.

Die Corona-Krise schränkt auch den Gestaltungsspielraum der Stadt bei der Verwirklichung von Projekten ein. Macht Ihr Job im Moment noch Spaß?

Auf jeden Fall. Meine Interpretation des Jobs ist es, viel mit den Münchnern zu reden. Das wollen die Leute auch weiterhin. Ich will ansprechbar für die Bürger bleiben und versuchen, ihr Leben in München besser zu machen. Das sehe ich als wesentlichen Teil meiner Aufgabe an. Das funktioniert trotz Corona immer noch ganz gut. Natürlich ist es schön, wenn man als Stadt Geld hat. Wir mussten in den letzten Jahren nicht ernsthaft sparen. Es wird nun sicher anspruchsvoller, zu regieren, weil man nicht allen Interessen gerecht werden kann.

Welche Projekte sind trotz knapper werdender Finanzen unverzichtbar?

Ich will es nicht so sehr an einzelnen Projekten festmachen. Es geht vorrangig um die konsumtiven Ausgaben. Und da sage ich klar: Wir werden im Sozial- und im Bildungshaushalt künftig noch mehr Geld ausgeben müssen. Zum Beispiel für die Ausstattung von Schulen mit mobilen Endgeräten. Da will ich nicht sparen. Und unser Sozialsystem wird auf jeden Fall noch mehr Menschen helfen müssen. Das hat für mich oberste Priorität. Wir werden niemanden im Regen stehen lassen, der durch Corona finanziell in Not geraten ist. Außerdem werden wir weiter sozialen Wohnungsbau betreiben, denn außer uns wird das niemand machen. Und die Mieten sind einer der größten Preistreiber in der Stadt.

Und was konkrete Projekte betrifft?

Es hat keinen Sinn, laufende Projekte wie etwa den Neubau des Volkstheaters zu beenden. Oder das Interimsgelände für den Gasteig samt Philharmonie. Und es gibt Investitionen, auf die ich auf keinen Fall verzichten möchte: nämlich den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Da stehen Milliardenbeträge im Raum. Der U-Bahn-Plan und die Tramtrassen müssen verwirklicht werden. Und dann werde ich den Kämmerer mal fragen: Wie viel bleibt noch übrig für weitere Investitionen? Ich erwarte hier aber auch von Bund und Land stattliche Förderbeträge. Wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen, die Digitalisierung zum Nutzen der Bürger vorantreiben und Mobilität zukunftsfähig machen wollen, braucht es die dafür nötige finanzielle Unterstützung.

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