Jetzt leben wir schon fast ein halbes Jahr auf Distanz. Manchmal finde ich es schrecklich: Da verbringe ich einen super Abend mit Freunden. Und es wäre nur konsequent, sich zum Abschied zu umarmen. Aber dank Corona gehöre ich mittlerweile zur CDU, zum „Club Der Unumarmten“. Auf der anderen Seite gab es schon immer Momente, da war mir Nähe eher unangenehm: Eine volle U-Bahn, die ich mit betrunkenen Fußballfans teilen muss, streichelt meine Seele mit der Zärtlichkeit eines Schleifpapiers. Und die Schlange vor der Sicherheitskontrolle am Flughafen ist auch nicht unbedingt der Ort, an dem ich alt werden will (obwohl ich dort oft in Minuten um Jahre alterte, weil ich Angst hatte, meinen Flieger zu verpassen).
Der größte Vorteil der neuen Distanzregeln wurde mir letzte Woche bewusst. Seit meiner Jugend lebe ich nämlich in einem Dilemma: Ich esse gerne Knoblauch, aber ich rieche ungern danach. Der Grund ist mein Freund Stefan. Der hatte eine extrem fiese Art, mit meinen Ausdünstungen umzugehen. Wenn ich ihm gegenübersaß, verschränkte er die Hände so vor der Nase, dass er sie sich de facto zuhielt. Oft schaltete er seine Nase auch einfach ab und atmete durch den Mund. Beim Sprechen klang er dann wie der blasierte Lord in einem englischen Gesellschaftsroman und sah aus wie ein Fisch. Aber das war ihm egal. Hauptsache, mir wurde bewusst, wie unangenehm meine Gegenwart war. Genau genommen bin ich schwer traumatisiert, wenn es um Knoblauch geht, dank Stefan.
Letzten Dienstag rief Stefan recht spät an und wollte sich spontan auf ein Bier verabreden. Das mache ich grundsätzlich gern. Aber in diesem Fall hatte ich mir unmittelbar vorher ein kleines Nudelgericht mit großem Knoblauchanteil gekocht. Ich traf Stefan trotzdem. Wir saßen uns stundenlang gegenüber und radelten später sogar gemeinsam durch die Münchner Nacht – beides mit dem gebotenen Sicherheitsabstand. Als wir uns verabschiedeten, fragte ich ihn, ob er denn nichts gerochen hätte. Er verneinte. Und ich verstand schlagartig den großen Vorteil der Covid-19-Pandemie: Man kann so viel Knoblauch essen, wie man will. Wer sich über Ausdünstungen beschwert, der sollte erst mal über seinen Sicherheitsabstand nachdenken.
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