Verneigung vor den Opfern

von Redaktion

VON KLAUS VICK

Dimitrios Lagkadinos hat am 26. September 1980 beide Beine verloren – und seine erste große Liebe. 40 Jahre später sitzt er an diesem verregneten Tag zusammen mit drei weiteren Überlebenden des Oktoberfest-Attentats auf der Bühne am Wiesn-Haupteingang. Nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem 1980 eine in einem Papierkorb deponierte Bombe explodierte und das Leben von zwölf Menschen auslöschte. Das 13. Todesopfer war der Attentäter selbst – Gundolf Köhler.

Die vier Überlebenden halten stellvertretend für zig weitere damals Schwerstverletzte Reden (siehe unten). In bewegenden Worten. Lagkadinos richtet am Ende einen Appell an alle Menschen, „die gerade selbst eine schwierige Zeit durchleben“. Der 57-Jährige sagt: „Stellen Sie sich keine quälenden Fragen nach dem Warum und Weshalb. Das schwächt Euch nur.“ Und lächelnd fügt er an: „Glauben Sie mir, das Leben ist schön.“

Es ist ein Gänsehautmoment. Der Gedenkakt zum 40. Jahrestag des schrecklichsten Terrorakts in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist tief berührend. Und „keine Selbstverständlichkeit“, wie OB Dieter Reiter (SPD) in seiner Eingangsrede sagt. Aus vielerlei Gründen: Weil so viele Überlebende und Hinterbliebene gekommen sind. Weil erstmals ein Bundespräsident ihnen seine Ehre erweist und sich vor den Todesopfern verneigt. Weil ein neues Denkmal enthüllt wird. Weil alle Redner von Reiter über Steinmeier bis zu Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Rechtsextremismus in aller Schärfe geißeln. Und weil – vielleicht die größte Geste an diesem Gedenktag – sich Reiter und Söder im Namen der Stadt und des Freistaats bei den Familien der Toten, bei den Überlebenden und deren Angehörigen entschuldigen. Für die mangelnde Unterstützung und für die Versäumnisse der Ermittlungsbehörden, die den rechtsextremen Hintergrund des Attentats lange verkannt haben. Oder wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zusammenfasst: „Wegschauen ist nicht mehr erlaubt.“

Er fordert ein Nachdenken darüber, ob es „typische, sich wiederholende Defizite“ in der Strafverfolgung beim damaligen Oktoberfest-Attentat und noch heute gebe. Die unzureichende Aufklärung dieser Tat oder auch des NSU-Netzwerkes schmerze nicht nur die Opfer, „sondern auch unser demokratisches Gemeinwesen“. Der Rechtsstaat trage bis heute eine Wunde davon, erklärt Steinmeier. Den Fonds von Bund, Freistaat und Stadt in Höhe von 1,2 Millionen Euro für die Entschädigung der Opfer bezeichnet er als „ein spätes, aber ein wichtiges Zeichen der Solidarität“. Für die DGB-Jugend, die über Jahrzehnte das Gedenken maßgeblich aufrechterhielt, erinnert Pia Berndt an den langen Weg bis zur Wiederaufnahme der Ermittlungen und zur Einstufung der Tat als rechtsextremistisch.

OB Reiter sagt, es sei für einen Rechtsstaat inakzeptabel und „unwürdig für eine humane Gesellschaft“, dass die Opfer und ihre Familien „mit ihren Schmerzen und Traumata“ so lange alleingelassen worden seien. Es bleibe „unser aller Aufgabe, gegen menschenfeindliche Gesinnungen und rechten Terror zusammenzustehen. Das sind wir den Überlebenden des Oktoberfest-Attentats schuldig“, erklärt Münchens Stadtoberhaupt.

Auch Markus Söder bekräftigt: „Wer Rechtsradikale unterschätzt, versündigt sich an der Demokratie.“ Der Ministerpräsident sagt, Gesellschaft und Politik hätten einen klaren Auftrag, gegen Rechtsextremismus und Hass vorzugehen. Auch gegen Netzwerke, die ein Klima der geistigen Gewalt schaffen würden. Söder entschuldigt sich für Fehler, die bei den Ermittlungen gemacht worden seien. Und er bedankt sich bei den vier Überlebenden, deren Reden ihn sehr beeindruckt hätten. Bei peitschendem Wind und prasselndem Regen fügt Söder an: „Passend dazu weint heute auch der Himmel.“

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