Das Münchner Autokennzeichen, ein erhobener Mittelfinger und die unflätige Aufforderung „Verpisst Euch!“: So wurden Ausflügler aus der Landeshauptstadt am Silvestertag in Miesbach begrüßt. Das zusammengezimmerte Schild am Ortseingang hat die Polizei zwar schnell abmontiert. In den sozialen Netzwerken sorgen Fotos von der Entgleisung aber noch für jede Menge Diskussionen. „Brauche ich jetzt Polizeischutz?“, fragt ein Münchner auf Twitter. „Armselig so was . . .“
Der Hass auf die Städter, die im Umland Abwechslung von der Eintönigkeit des Lockdowns suchen, wird immer größer. „Aber so kann man die Situation, die für alle schwierig ist, nicht meistern“, mahnt Miesbachs Bürgermeister Gerhard Braunmiller (CSU). Das Schild ist für ihn „in keinster Weise akzeptabel“. Er appelliere an die Vernunft, es gelte, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Braunmiller sagt auch, er habe Verständnis dafür, dass es Erholungssuchende in die Berge dränge. Aber wahr sei auch, dass es in den vergangenen Tagen Zehntausende waren.
„Der Ansturm ist enorm“, sagt auch der Bürgermeister von Schliersee, Franz Schnitzenbaumer (CSU). Hunderte Rodler tummelten sich selbst auf kleinen Hügeln, und die Skipisten bevölkerten Tourengeher. Peter Lorenz, Geschäftsführer der Alpenbahnen Spitzingsee sagte, die Parkplätze seien teilweise überfüllt. „Es ist genauso voll, als wenn Skibetrieb wäre“, sagte er. Viele nutzten die Eisfläche des zugefrorenen Spitzingsees zum Langlaufen oder Schlittschuhlaufen. Richtig voll ist es in diesen Tagen auch im Skigebiet am Brauneck in Lenggries und auf den Rodelpisten im Werdenfelser Land.
Dort hat Manuel Viehmann kurz nach Weihnachten eine Attacke gegen sich öffentlich gemacht: Weil sein Auto ein Münchner Kennzeichen hat, wurde es von einem Unbekannten bespuckt. Dabei lebt der Arzt seit April in Garmisch-Partenkirchen und arbeitet im Klinikum in der Corona-Isolierstation. „Woher kommt die Wut auf Leute aus München, aus Bayern?“, will der Neubürger wissen. Eine Frage, die auf Facebook eine hitzige Diskussion auslöste. An der beteiligte sich auch Marcus S. aus Mittenwald, dem ähnlicher Hass entgegenschlug. An seinem Auto mit M-Kennzeichen klebte kürzlich ein Zettel: „Wir wollen Euch hier nicht haben. Verscheißt und vermüllt Euer Zuhause.“ S. lebt seit Jahren in der Marktgemeinde, hat dort aber sein Auto nicht gemeldet.
Der Unmut schwelt freilich nicht erst seit gestern. Rücksichtslose Mountainbiker auf dem Taubenberg, Horden, die schon angetrunken aus der BOB stolpern, wenn sie Waldfeste im Tegernseer Tal besuchen: „Im Sommer überlegen wir uns schon immer Schleichwege, um für acht Kilometer Autofahrt keine Stunde zu brauchen“, sagt eine Miesbacherin. Die Bevölkerung habe die Nase voll. Genauso wie im Loisachtal, wo gestresste Einheimische sich zu dem unschönen, aber erklärlichen Slogan „Kochel den Kochlern“ verstiegen. „So was ist – genau wie das Schild bei uns – schon ziemlich provinziell“, sagt die Miesbacherin. „Wir müssten uns als Region verstehen, schließlich fahren wir ja genauso in die Stadt.“ Und Gastronomie, Hotellerie und Vereine dächten auch durchaus anders. „Aber ein großer Teil der Leute hier hasst die Münchner wirklich.“
Corona verschärft den Konflikt. In den sozialen Netzwerken schimpfen die Menschen aus dem Umland, dass sie sich brav an die Kontaktbeschränkungen halten. Während die „Stodara“ zu lustigen Ausflügen aufbrechen. Zu den alten Problemen – stundenlangen Staus und Bergen von Müll – kommt jetzt noch die Angst vor Ansteckung.
Angesichts der Probleme hat Garmisch-Partenkirchens Bürgermeisterin Elisabeth Koch (CSU) gefordert: „Wir brauchen klare Regeln und kein Rumgeeiere.“ Per SMS hat auch Miesbach Landrat Olaf von Löwis (CSU) einen Hilferuf in die Staatskanzlei geschickt: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) soll dem Ausflugswahnsinn einen Riegel vorschieben. Doch die Politik setzt auf Vernunft und Eigenverantwortung. Und darauf zielte auch ein neues Schild ab, das für kurze Zeit in Miesbach stand. Die positive Botschaft auf dem Herz aus Holz: „Gemeinsamkeit zählt. Keine Ausgrenzung.“
Gegen die unbekannten Verantwortlichen der vorherigen Hetze läuft derweil ein Strafverfahren, die Staatsanwaltschaft prüft den Vorgang. Weil es nicht erlaubt ist, Schilder aufzustellen. Und wegen der beleidigenden Botschaft. „So schürt man Hass“, sagt ein Sprecher der Polizei.