Heinz Hermann Thiele bezeichnete sich als „Unternehmer bis zum letzten Atemzug“, und seit der gebürtige Mainzer die Münchner Knorr-Bremse quasi im Alleingang zu einem weltweit führenden Hersteller von Lkw- und Bahntechnik gemacht hatte, hätte ihm auch niemand die Fähigkeit der Weitsicht abgesprochen. Doch als der Firmenpatriarch vor zwei Monaten im Alter von 79 Jahren starb, blieb sein letztes großes Projekt, eine Familienstiftung, unvollendet. Damit sind auch die Steuervorteile dahin, die diese Lösung zu seinen Lebzeiten ermöglicht hätte. Wie das „manager magazin“ schreibt, bedeutet dieser Umstand angesichts des Thiele-Vermögens von geschätzt mehr als 20 Milliarden Euro für den Staat einen riesigen Batzen an Erbschaftssteuer. Es handle sich wohl um fünf Milliarden Euro, offizielle Angaben aus der Familie gibt es nicht. Stimmt diese Größenordnung, wäre das die höchste Steuersumme, die in Deutschland je von Erben bezahlt wurde, so der Bericht.
Nutznießerinnen der von Thiele konzipierten Familienstiftung, die jetzt von seinem Steuerberater und engen Vertrauten Robin Brühmüller bis Ende des Jahres weiter ausgearbeitet und fertiggestellt wird, sind wohl seine Tochter Julia Thiele-Schürhoff (50) und seine Witwe Nadia (45).
Die Familie hält 59 Prozent der Knorr-Bremse-Aktien, 12,5 Prozent der Lufthansa-Papiere und 50,1 Prozent des Zugbauers Vossloh. Dazu kommen Immobilien und Ländereien. Auch bei höheren Steueranforderungen werde es nicht nötig sein, Aktien von Knorr-Bremse oder Vossloh zu verkaufen, wie das Magazin erfahren hat.
Zwei Wochen nach Thieles überraschendem Tod hatte der neue Vorstandschef von Knorr-Bremse, Jan Mrosik, die Zahlen des vergangenen Jahres vorgelegt und bei der Gelegenheit in die Zukunft geblickt. Es gebe „keine Signale seitens der Familie Thiele, dass es zu Instabilitäten kommen wird“, sagte er. Thieles Tochter Julia gehört dem Aufsichtsrat an. Die Zahl der Mitarbeiter soll bei 30 000 (5000 in Deutschland) stabil bleiben. An die Aktionäre will Knorr-Bremse zwischen 40 und 50 Prozent des Gewinns als Dividende ausschütten, so Finanzchef Frank Markus Weber. Die Hauptversammlung findet am 14. Mai statt.
Heinz Hermann Thiele hatte nach dem Jura-Studium seine Karriere bei Knorr-Bremse als Sachbearbeiter in der Patentabteilung begonnen und war in den Vorstand des Familienunternehmens aufgestiegen. Als der damalige Firmenerbe 1985 verkaufen wollte und sich niemand für das Unternehmen interessierte, stand der damals 44-jährige Thiele vor der Entscheidung seines Lebens. Er schaffte es, die Banken zu überzeugen, ihm das Geld für die Übernahme zu leihen. Berater empfahlen ihm das Kerngeschäft Bremsen aufzugeben. Thiele tat genau das nicht und machte den Münchner Mittelständler zum Weltmarktführer für Eisenbahn- und Nutzfahrzeugbremsen.
Wie es jetzt in den obersten Etagen seines Unternehmens weitergehen wird, scheint noch nicht ganz klar zu sein. Laut „manager magazin“ wird sich Thieles Wunsch, BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter in den Aufsichtsrat von Knorr-Bremse zu wählen und ihm den Vorsitz zu übertragen, nicht erfüllen. Hinter den Kulissen wollte der Patriarch sein Imperium auf die Zeit nach ihm vorbereiten – doch die begann zu früh.