Ihr Blick ist entschlossen, die Arme verschränkt. Bei organisierten Callcenter-Betrügern versteht Désirée Schelshorn (44) keinen Spaß. Bei der Münchner Polizei leitet sie ein Team, das gegen falsche Polizeibeamte ermittelt. Diese Täter haben 2020 allein in München 4,6 Millionen Euro Schaden angerichtet. „Doch wir sind ihnen auf den Fersen“, sagt die Kriminaloberkommissarin.
Mit Erfolg: Heuer konnte die Polizei bereits 33 Tatverdächtige festnehmen, die zu kriminellen Banden gehören, die aus Callcentern in der Türkei zielgerichtet bei Münchner Senioren anrufen, um sie abzuzocken. „Im Vergleich zum vergangenen Jahr konnten wir die Festnahmezahlen in diesem Bereich der organisierten Kriminalität mittlerweile mehr als verdoppeln“, so Schelshorn. 2020 hat es insgesamt 19 Festnahmen gegeben.
Das Phänomen falsche Polizeibeamte: Kein Verbrechen verursacht aktuell mehr Schaden in der Stadt. Bis zu 600 Mal rufen die Betrüger pro Tag in München an und geben sich als Polizisten aus. Den Senioren gaukeln sie vor, dass Einbrecher es auf sie abgesehen hätten und ihre Wertsachen sofort gesichert werden müssten. Ein ziviler Beamter komme sie abholen. In Wahrheit ist es ein angeheuerter Abholer der Bande.
Mehrere Tausend Euro verlieren Senioren, wenn sie auf die Masche reinfallen. „Oft sogar ihr gesamtes Erspartes“, sagt Schelshorn.
Viel schlimmer aber: „Viele leiden monatelang unter Ängsten und Selbstzweifeln, das geht bis zu Selbstmord-Gedanken“ – weil oft auch Vorwürfe aus der Verwandtschaft kommen. „Es handelt sich bei den Tätern um hoch manipulative und abgebrühte Verbrecher, die die Geschädigten ängstigen und massiv unter Druck setzen“, so Schelshorn.
Ingrid Appel (81) kann das bestätigen. Als Seniorenbeirätin gibt sie sogar Info-Kurse über das Betrugsphänomen. Doch als sie 2019 selbst von Betrügern angerufen wurde, „hatten sie auch mich am Haken“, sagt Appel. Per Handy wählte sie den Notruf und entging einem Schaden.
Mittlerweile wissen immer mehr Senioren über die Betrugsmasche Bescheid – auch die Polizei hat dazugelernt, erzählt Schelshorn. Vor allem über Strukturen und Verhalten der kriminellen Banden.
„Unsere Ermittlungserfolge waren ein langer Prozess. Wir sind oft nur bis zur ersten Ebene vorgedrungen und konnten die Abholer festnehmen. Doch mittlerweile sind wir auf der zweiten und dritten Ebene angekommen: bei Logistikern und Keilern, die die Anrufe tätigen.“ Zuletzt gab es mehrere Festnahmen pro Woche. Ende Juli etwa hat die Polizei ein hochrangiges Bandenmitglied erwischt, als er in die Türkei ausreisen wollte. „350 Betrugsversuche gehen auf sein Konto – mindestens. Die Vollendung der Taten konnten wir verhindern.“
Auf frischer Tat erwischen die Ermittler nur die Abholer. „Sie sind auf schnelles Geld aus, fühlen sich aber nicht verantwortlich. Ein Abholer hat mal vor Gericht gesagt: Na ja, ich musste dafür ja niemand schlagen.“ Doch selbst nach großen Ermittlungserfolgen lassen sich die organisierten Banden nicht aufhalten. „Wenn wir einen Abholer erwischen, können wir einen Fall der Verbrecherbande vereiteln. Aber unmittelbar danach versuchen sie es bei anderen Senioren erneut.“ Auch wenn die Ermittler Mitglieder aus höheren Kreisen festnehmen, werden diese nachbesetzt. Laut Schelshorn sei es wie beim Schach: „Am Anfang haben wir die Bauern erwischt, jetzt die Läufer und auch Türme. Und irgendwann mal wollen wir die Könige kriegen – und die Betrüger somit schachmatt setzen.