Die Inzidenz soll bei der Bewertung der Corona-Pandemie künftig nicht mehr der Maßstab sein. Als Orientierung für neue Regeln soll künftig die Hospitalisierungsrate der Infizierten gelten. Das heißt: Wie viele Menschen erkranken so schwer, dass sie stationär oder sogar auf der Intensivstation behandelt werden müssen? In München geht die Kurve seit Anfang August wieder nach oben. Zeitweise wurden in allen Kliniken der Stadt weniger als 30 Corona-Patienten behandelt. Stand gestern waren es 84 Personen.
Michael Irlbeck, Leiter der Intensivmedizin am LMU-Klinikum Großhadern, stellt fest: „Wir bewegen uns mit dem deutlichen Anstieg der Inzidenzen und auch mit den Intensivbelegungszahlen ziemlich exakt im Bereich des Oktobers 2020.“ Auch die Geschwindigkeit des Anstiegs sei nur geringfügig langsamer als vor zehn Monaten. Die aktuelle Impfquote wird nach Einschätzung Irlbecks nicht ausreichen, „um die vierte Welle aufzuhalten“. Er erwarte abermals eine erhebliche Belastung der Krankenhäuser und des Personals. Auch Christoph Spinner, Infektiologe und Pandemiebeauftragter des TU-Klinikums rechts der Isar, spürt einen merklichen Anstieg der Zahlen – ähnlich wie im Vorjahr. Für ihn ist klar: Je höher die Impfquote, desto niedriger die Fallzahlen im Herbst und Winter. Man habe nun die Möglichkeit, auch Kinder ab zwölf Jahren zu impfen. „Dies sollten wir nutzen.“ Im rechts der Isar werden aktuell zehn Covid-19-Patienten behandelt, davon vier auf den Intensivstationen. Spinner: „Derzeit liegen bei uns vor allem ungeimpfte jüngere Menschen.“
In Großhadern sind aktuell 19 an einer Corona-Infektion Erkrankte in Behandlung, davon fünf auf der Intensivstation – deren Durchschnittsalter beträgt 53,8 Jahre. Die Liegedauer beträgt nach Auskunft einer Sprecherin im Mittelwert 17 Tage. Zum Vergleich: Vor exakt einem Jahr mussten nur acht Corona-Patienten in Großhadern versorgt werden.
Die München Klinik behandelt in ihren fünf Häusern aktuell 15 Corona-Patienten, sechs davon auf der Intensivstation. Vor einem Jahr waren es insgesamt fünf. Nach Angaben eines Sprechers stieg die Zahl in den vergangenen Wochen langsam, aber kontinuierlich an. Vor zwei Wochen waren es sieben Patienten (drei davon auf intensiv), Ende Juli sechs Personen – alle auf Normalstation. Axel Fischer, Geschäftsführer der München Klinik, hofft, „dass nach drei herausfordernden Pandemie-Wellen die Zahl der Covid-19-Patienten, die im Krankenhaus versorgt werden müssen, im Herbst niedrig gehalten werden kann“. Dafür sei der Impffortschritt im Sommer entscheidend. In der München Klinik wurden zur Hochphase der Corona-Pandemie bis zu 200 Patienten gleichzeitig versorgt, ein Drittel davon auf der Intensivstation. Das war laut Fischer möglich, indem andere Versorgungsbereiche zurückgefahren wurden.
Auf den Intensivstationen der München Klinik und in Großhadern liegen ausschließlich ungeimpfte Personen. Im Klinikum rechts der Isar werden unterdessen auch Geimpfte behandelt, wobei es sich laut Chef-Infektiologen Spinner in allen Fällen um Menschen mit Erkrankungen des Immunsystems handelt oder um Menschen, die Medikamente zur Reduktion des Immunsystems einnehmen müssen. In diesen Fällen könne die Corona-Impfung ihre volle Schutzwirkung nicht entfalten, erklärt Spinner. Laut einem Bericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind 94 Prozent der Covid-Patienten auf den Intensivstationen in Deutschland ungeimpft. Die Zahl der Impfdurchbrüche werde jedoch steigen, warnt das RKI.
Die Anzahl der Corona-Todesfälle sinkt unterdessen, wobei Irlbeck in dieser Beziehung keine Entwarnung geben will. Die Zahl der Patienten in der sogenannten vierten Welle sei noch zu gering als dass sich ein Trend ablesen ließe, sagt er. In den vergangenen drei Monaten gab es in München rund 35 Todesfälle in Verbindung mit einer Corona-Erkrankung, in den drei Monaten davor waren es etwa 160. Von Neujahr bis Ende Februar gab es in nur zwei Monaten rund 500 Tote zu beklagen.