Luxus statt Leben

von Redaktion

VON DANIELA POHL

In nur fünf Jahren sind auf 500 Metern an der Türkenstraße 323 Menschen verschwunden. Diese Zahlen hat die „Deutsche Immobilien Partei“ (DIP) erhoben. Keine wählbare Partei, sondern eine Kunstaktion der Arbeitskreise „Junges Forum“ und „Wer beherrscht die Stadt“ des Münchner Forums. „An der Türkenstraße lassen sich die Auswüchse auf dem Immobilienmarkt mit all ihren städtebaulichen und sozialen Folgen wie unter einem Brennglas betrachten“, sagen die Aktivisten der DIP. Mehrere große Projekte seien in der Türkenstraße exemplarisch für die Zerstörung historischer Häuser, Entmietung, Verdrängung oder Spekulation mit Grund und Boden.

Die Menschen

Stefan Sasse ist Mitinitiator des Protests und ehemaliger Anwohner der Türkenstraße. Er war der letzte Mieter in einem Haus mit 62 Wohnungen – er zog im Mai 2021 aus. Im Mai 2020 habe der Eigentümer gewechselt, sagt der 59-Jährige. „Es hieß, dass das Haus im April dieses Jahres abgerissen werden soll.“ Das Gebäude steht noch. „Vieles war einfach Fiktion, um die Leute rauszukriegen.“ Mit Erfolg. Sasses Wissens nach wurde am 31. Mai ein Bauantrag gestellt. Der Projektentwickler kündige bereits den Verkaufsstart für luxuriöse Eigentumswohnungen im Internet an.

Von dem Ensemble, das in Hufeisenform um einen Innenhof mit Glockenturm angeordnet war, steht heute nur noch das Vorderhaus. Darin wohnt Marianne Ott-Meimberg mit ihrem Mann als eine von vier verbliebenen Parteien. „Sechs Wohnungen wurden saniert und stehen seitdem leer“, sagt die 70-Jährige. Die Bewohner meldeten den Leerstand bei der Stadt. Passiert sei nichts. „Der Investor soll glaubhaft versichert haben, dass der Baulärm für potenzielle neue Mieter nicht zumutbar ist. Das ist zynisch!“ Das Vorhaben des Eigentümers liege auf der Hand: „Er will uns mürbe machen, aber wir bleiben!“ Die Mietergemeinschaft hofft auf das neue Baulandmobilisierungsgesetz – die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen soll dadurch erschwert werden.

Die Entmietung

Um Mieter aus ihren Wohnungen zu kriegen, lassen sich Investoren so einiges einfallen. „Es häufen sich merkwürdige Vorfälle im Viertel“, haben die Aktivisten von der DIP beobachtet. So sei in einem Gebäude eine alte Holztreppe mit schmiedeeisernem Geländer herausgerissen und durch eine Behelfstreppe ersetzt worden, kurz bevor das Denkmalamt zur Besichtigung kam. Schützenswert sei dieses Haus nun nicht mehr.

Der Druck wächst. Nicht nur an der Türkenstraße. Beim Mieterverein München ist man in Sorge: „Es kann nicht sein, dass Mietshäuser über Jahre durch Druck auf Mieter, immer mehr Leerstand und Zahlung hoher Abfindungen entmietet werden – um dann in Eigentum umgewandelt, modernisiert und Wohnung für Wohnung sehr teuer verkauft zu werden“, sagt Mietervereinsgeschäftsführer Volker Rastätter.

Das Millionenspiel

500 Euro warm zahlte Sasse für seine 30 Quadratmeter große Mietwohnung. Preise, die aus der Zeit gefallen scheinen. „Die Kaufpreise werden zwischen 17 000 und 22 000 Euro pro Quadratmeter liegen“, meint er. Laut DIP wurde das gründerzeitliche Ensemble, von dem nur noch das Vorderhaus steht und in dem Ott-Meimberg wohnt, 2007 für 30 Millionen Euro an eine Investmentfirma verkauft. Der neue Eigentümer habe die Aufhebung des Denkmalschutzes erreicht. Neuer Kaufpreis: 80 Millionen Euro.

Fazit der DIP: „64 Mietwohnungen wurden vernichtet. In den Jahren seit dem ersten Verkauf 2007 bis 2020 ist der Bodenwert des Grundstücks um 370 Prozent gestiegen.“ Der Mieterverein fordert eine Bodenrechtsreform. Rastätter: „Immer weiter steigende Bodenpreise machen den Bereich Wohnen für Spekulation sehr interessant.“

Artikel 4 von 4