Wie geht es einem Baby, das gleich bei der Geburt von der Mama getrennt werden muss? Wie fühlen sich Eltern, die das kleine Wesen nicht im Arm halten, herzen und behüten dürfen? Corona hat solche Schicksale geschaffen: Während covid-kranke Mütter um ihr Leben kämpfen, werden die Babys auf der Kinderintensivstation betreut. Doch Münchner Fachpflegerinnen tun alles, um solchen Familien zu helfen: Sie schreiben seit der Pandemie ganz spezielle kleine bunte Tagebücher, die für Eltern und Kind ein Leben lang wertvoll sein werden. Andrea Killiches (50), pflegerische Stationsleitung der Kinderintensivstation Harlaching, erzählt die Geschichte der „Tagebücher der Hoffnung“.
Frau Killiches, was ist Ihre Aufgabe in der München Klinik Harlaching – und wie ist die Situation mit Corona?
Ich organisiere das Pflegepersonal, begleite die Eltern, bin aber auch selbst in der Pflege vor Ort. Es kommt durch Corona leider häufig vor, dass Eltern nicht zu ihren Kindern können. Weil sie selbst krank sind, oder sie oder Geschwisterkinder in Quarantäne sind. Das ist sehr schwer und sehr emotional für alle.
Wie kam es zu den Tagebüchern?
Das möchte ich anhand der Geschichte von Kira erzählen. Sie ist letztes Jahr im Februar geboren, in der 28. Schwangerschaftswoche. Sie wog 580 Gramm. Ihre Mutter war schon länger mit Covid auf Intensiv gewesen, plötzlich ging es ihr gravierend schlechter. Als die Ärzte sagten, sie müsse intubiert und in Bauchlage gelegt werden, war klar: Kira wird per Kaiserschnitt entbunden.
Was bekam die Mutter davon noch mit?
Gar nichts mehr. Sie wusste nicht mal das Geschlecht ihres Kindes. Auch der Vater war hilflos. Er war in Quarantäne und musste sich um den vierjährigen Sohn kümmern.
Wie ging es Kira nach der Geburt?
Zum Glück hat sie sich gut entwickelt. Aber wir machten uns viele Gedanken: Die Mutter kriegt ja gar nichts mit. Dabei ist die erste Zeit so wichtig! Jede Berührung, jeder Blick. Auch für den Vater! Da kamen wir auf die Idee, das Tagebuch selbst zu schreiben, das sonst Eltern von Frühchen führen.
Wie sieht so ein Eintrag aus?
Wir erzählen vom Tag – aus Sicht des Kindes. „Heute hat die Pflegerin mit mir gekuschelt.“ „Heute durfte ich das erste Mal alleine atmen.“ Aber auch lustige Geschichten: „Ich habe festgestellt, wenn ich an meinen Kabeln zupfe, macht es ,Bim Bim‘ und sofort kommt jemand angerannt!“
Adressat sind die Eltern?
Nicht nur. Zum einen soll die Mutter begreifen können: Das ist passiert, während ich im Koma lag. Aber auch das Kind wird die Mutter irgendwann fragen: Wie war das, als ich geboren wurde? Dann bricht die Mama vielleicht in Tränen aus, weil sie das ja nicht miterlebt hat. Aber das Tagebuch zeigt dem Kind: Ich wurde gut umsorgt!
Wie ging es mit Kira weiter?
Eines Tages erfuhren wir von der Intensivstation: Die Mutter ist extubiert und stabil. Sobald es möglich war, zeigten wir ihr das Tagebuch – sie war restlos begeistert! Ganz toll auch: Über ein Tablet durfte sie im Live-Streaming zuschauen, wie ihre kleine Maus gewogen und gewaschen wird.
Und dann kam DER Tag …
Den werden wir nie vergessen. Es war Vatertag. Ohne dass wir es dem Papa verraten hatten, wurde die Mutter im Bett zu uns gebracht. Und hier durften die Eltern sich und das Baby endlich in den Arm nehmen. Es war das Emotionalste, was ich je erlebt habe. Sogar der Dienstarzt hat geweint vor Freude. Wir waren glücklich.
Etwa 20 Tagebüchlein haben Sie und Ihre Kolleginnen seit der Pandemie geschrieben. Was hoffen Sie zu bewirken?
Wir alle hoffen, dass die Tagebücher die Eltern und die Kinder trösten. Es ist ja nicht nur Long Covid. Es sind die psychischen Belastungen, die irgendwann heilen sollen.
Was raten Sie Schwangeren?
Lassen Sie sich impfen! Es gibt inzwischen genügend Frauen, die sich ohne Nebenwirkungen und Schäden fürs Kind impfen ließen. Man weiß umgekehrt mit Blick auf eine Covid-Erkrankung nie, was kommt. Aktuell liegen einige ungeimpfte Mütter mit Covid-19 auf unserer Normalstation. Kiras Mama sagte am Ende: Wenn es während meiner Schwangerschaft schon die Impfung gegeben hätte, hätte ich diese erste Zeit mit meinem Kind wohl nicht verpasst.
Interview: Andrea Stinglwagner