Koks-Skandal: Polizist gesteht unter Tränen

von Redaktion

VON ANDREAS THIEME

Als die Fotografen am frühen Morgen den Saal A101 des Strafjustizzentrums betreten und sich vor der Anklagebank postieren, steht Fritz F. (28) auf und zieht sein graues Sakko an. Im Blitzlichtgewitter knöpft der Polizeiobermeister seine Jacke zu, senkt den Kopf und faltet seine Hände. Fast drei Minuten lang bleibt er so stehen, ohne aufzuschauen – eine Pose der Schuld. Als wolle er zeigen: Hier steht jemand, der seine Strafe entgegennehmen will.

„Ich habe Scheiß’ gebaut“, räumt der 28-Jährige dann auch in seinem zweistündigen Geständnis vor dem Amtsgericht ein. Unterbrochen von immer wieder lautem Schluchzen. „Es ist mir wichtig, selbst zu sprechen. Offen und ehrlich. Denn ich bin der Einzige, der das alles zu verantworten hat.“ Erleichtert sei er, „dass der heutige Tag nun gekommen ist“.

Insgesamt 79 Verstöße im Zusammenhang mit Kokain legt die Staatsanwaltschaft dem Polizisten zur Last. Den Erwerb in 69 Fällen gesteht er – auch den Konsum mit Kollegen, für die er mitbestellt und denen er mehrere Gramm überlassen hat, „Wir haben zusammen gefeiert, wir haben zusammen Drogen konsumiert“, sagt Fritz F., der aus Thüringen stammt, wo seine Verlobte und sein Sohn leben. 2011 begann er in Bayern seine Polizeiausbildung und musste seither pendeln.

„Das war großer Stress, die Situation hat mich fertiggemacht. Meine kleine Familie habe ich kaum gesehen“´, schildert Fritz F. Im Herbst 2015 wird er nach München versetzt, die Doppelbelastung mit Schichtarbeit habe „über meine Grenzen“ geführt. Mit Kollegen geht F. gerne feiern, um zu entspannen: „Das war mein Ventil.“

In der Disco Milchbar lernt Fritz F. 2016 Hakan P. (Name geändert) kennen. Von dem Dealer kauft er in den kommenden zwei Jahren mindestens 69 Mal Kokain. Teils gab er Drogen beim Feiern auch an Kollegen weiter.

Eine „Parallelwelt“ nennt der Polizist seinen Drogenrausch im Münchner Nachtleben. „Es war ein Zusammenspiel aus riesengroßer Schwäche und meinem doch noch irgendwie jungen Alter.“ Irgendwas, sagt F., „hat mich, verdammt noch mal, dazu gebracht zu sagen: Ja“.

Als „großen Fehler“ empfindet er das heute – dem Ansehen der Polizei habe er massiv geschadet. Die Staatsanwaltschaft führt 39 Ermittlungsverfahren gegen 37 Polizeibeamte und erhob sechs Anklagen. Denn auch etliche Kollegen hatten von Dealer Hakan P. gekauft – nach seiner Festnahme 2018 verriet er aber die Beamten, um sich selbst zu schützen.

Kaum zu glauben: Beinahe wäre Fritz F. selbst noch Drogenfahnder geworden. Anfang 2017 war er zum Vorstellungsgespräch im Kommissariat 83. Dort sah er das Bild seines Dealers an der Wand, den die Ermittler bereits im Visier hatten. „Da ist mir eiskalt geworden“, sagt der Polizist. „Aber ich hatte nicht den Mut, mich zu offenbaren.“

Stattdessen warnte er Hakan P. laut Anklage. Und soll von ihm auch Koks in seine Neuhauser Polizeiwache sowie während des Dienstes zur Wiesn bestellt haben, was er bestreitet. Nun droht Haft – und ein Berufsverbot. „Ich schäme mich“, sagt Fritz F. „Wenn ich einen Streifenwagen sehe, schaue ich weg. Kollegen kann ich nicht mehr in die Augen sehen“. Nächste Woche fällt sein Urteil – und der nächste Koks-Prozess gegen einen weiteren Polizisten beginnt.

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