Bomben, Blut, Tote und verzweifelte Menschen – die Lage in Charkiw wird immer bedrohlicher. „Man möchte unbedingt irgendwie helfen, fühlt sich aber machtlos. Ich könnte einfach nur heulen“, sagt Prof. Wolfgang Bauermeister aus Trudering. Der renommierte Schmerzmediziner hat eine besondere Beziehung zu Charkiw. Er arbeitet dort an der Uni mit, hält Vorlesungen. 300 000 Studenten leben in der Millionenstadt im Osten der Ukraine, sie stammen aus circa 80 Ländern. „Viele von ihnen haben es während der schweren russischen Angriffe nicht mehr aus der Stadt heraus geschafft. Sie helfen jetzt in Krankenhäusern bei der Versorgung der Kriegsopfer“, berichtet Bauermeister. Das Haus seines besten Freundes wurde verwüstet, als die Russen Raketen in ein nahes Regierungsgebäude jagten. Der Urologie-Professor ist jetzt mit seiner Frau auf der Flucht Richtung Westen, versucht sich zur polnischen Grenze in der Nähe von Lemberg durchzuschlagen. „Ich hoffe, sie schaffen es, irgendwie heil aus dieser Kriegshölle herauszukommen.“ Noch kann Bauermeister von München aus mit seinem Kollegen kommunizieren, die Internetverbindung ist intakt. „Bei den Gesprächen hört man, wie im Hintergrund Schüsse fällen, man sieht Explosionen, Feuer. Es ist schrecklich.“
Seinen Kollegen, Studenten und Freunden schickt Bauermeister immer wieder Videos und Bilder von den Solidaritätskundgebungen in Deutschland. „Auf diese Weise erfahren sie, dass bei uns Hunderttausende für sie auf die Straße gehen. Ich weiß von meinen Freunden, wie wichtig diese Unterstützung für sie ist“, berichtet der Arzt. „Denn die Ukrainer versuchen mit dem Mut der Verzweiflung, ihre Moral aufrechtzuerhalten.“ Ihr Alltag wird immer gefährlicher. „Tagsüber, wenn das Kriegsgeschehen einigermaßen ruhig zu sein scheint, gehen meine Freunde raus und versuchen, etwas zu essen aufzutreiben. Doch auch dies gelingt kaum noch. Es ist ein einziger realer Albtraum.“ ANDREAS BEEZ