Ein später, aber fundamentaler Schritt

von Redaktion

VON LEONIE HUDELMAIER

Eine Regenbogenfahne ziert die Treppen des Altars der Münchner St.-Pauls-Kirche, katholische Gläubige mit Masken in Regenbogenfarben sitzen auf den Kirchenbänken und inmitten dieses Gottesdiensts für queere Menschen predigt der Münchner Kardinal Reinhard Marx.

Die Gemeinde hält schon seit 20 Jahren immer wieder Gottesdienste für Christen ab, die in der katholischen Kirche mit Diskriminierung zu kämpfen haben – lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle und intersexuelle (kurz: LGBTI) Menschen. Das englische Wort „queer“ ist ein Sammelbegriff für sexuelle Minderheiten. Zu diesem runden Jubiläum vergangenen Sonntag hielt Kardinal Marx eine Predigt und entschuldigte sich ganz offiziell bei den Gläubigen. Er sei erschüttert, dass die Diskriminierung immer noch andauere, sagte Marx. Er als Bischof wolle deswegen dafür einstehen, „dass wir Schritt für Schritt zu einer inklusiven Kirche werden“. Der Kardinal sagte, ihn hätten die Lebensgeschichten queerer Menschen tief berührt. „Wir müssen sehen, wie viele Verletzungen angerichtet wurden“, sagte der Münchner Kardinal.

Unter anderem eine Transfrau, die als Mann geboren worden war und jahrelang als Mönch in einem Kloster gelebt hatte, bedankte sich für Marx’ Kommen. Ein 88-Jähriger bekannte, er habe nicht mehr geglaubt, das noch erleben zu dürfen. Für seine Predigt erntete der Erzbischof von der Gemeinde Applaus.

Für Michael Brinkschröder, katholischer Religionslehrer und Mitinitiator des Queer-Gottesdiensts, „steckt eine Anerkennung“ der queeren Katholiken in dem Besuch von Marx. Die katholische Kirche sei „extrem homophob“ gewesen und bewege sich „mit sehr deutlichen Schritten da raus“, wie er findet. Auch der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler sieht Marx’ Predigt in der queeren Gemeinde als einen „großen, fundamentalen Schritt“ und spricht dabei von einer echten Zeitenwende. „Wenn wir mal nicht gerade dabei sind, eine neue Kirche zu werden!“, sagte er gegenüber unserer Zeitung. Er selbst hätte noch vor zehn Jahren – ähnlich wie Kardinal Marx – nicht daran gedacht, dass so ein Schritt in der katholischen Kirche gegangen wird. Als nächsten Schritt sieht der Pfarrer der St.-Maximilian-Gemeinde ein Handout für kirchliche Segnungen sowie kirchliche Vermählungsfeiern für queere Paare. Auch Gregor Schorberger von den LesBiSchwulen Gottesdienst-Gemeinschaften sieht es als ein „begrüßenswertes Zeichen“. Jedoch dürfe es nicht nur „bei Lippenbekenntnissen katholischer Repräsentanten bleiben“, wie er unserer Zeitung sagt. Für ihn wären einer der ersten Schritte, die jetzt gemacht werden müssen, „die ersatzlose Streichung der diskriminierenden Aussagen über Homosexuelle im Katechismus“.

Doch neben der positiven Wirkung, die Marx’ Besuch hatte, gibt es auch durchaus kritische Stimmen. Vom Lesben- und Schwulenverband in Bayern hieß es auf Anfrage, der Besuch sei ein „erster Schritt in Richtung eines Dialogs auf Augenhöhe“, jedoch müsse „noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden“. Außerdem fordert der Verband, dass sich die Kirche mit ihrer „Schuldgeschichte“ auseinandersetzt. „Strukturelle Veränderungen sind die beste Entschuldigung, die die katholische Kirche nun leisten kann“, so ein Sprecher zu unserer Zeitung.

„Es ist ein gutes Zeichen, aber es kommt natürlich wahnsinnig spät“, erklärt der Münchner Szene-Wirt Dietmar Holzapfel, der erst gestern den Bayerischen Verdienstorden für sein Lebenswerk erhalten hat (siehe Bayern). Er erinnert sich noch gut daran, wie er 2006 wegen einer Papst-Puppe beim Christopher Street Day, die ein Kondom über dem Finger trug, verklagt wurde. Auch wenn es „wirklich gute Leute in der Kirche gibt“, habe er seinen Seelenfrieden woanders gefunden.

Auch Kardinal Marx weiß, dass diese Kehrtwende spät kommt. Er dankte allen Beteiligten des Queer-Gottesdienstes „für ihre Geduld“ und räumte ein, dass dieses Engagement zu Beginn seiner Amtszeit in München 2009 eher geduldet als offiziell wertgeschätzt wurde. „Das ist vorbei“, versicherte Marx. Dass es sich dabei nicht um ein Lippenbekenntnis handelt, zeigt die Schaffung einer halben Stelle für eine Regenbogenpastoral, wie Brinkschröder unserer Zeitung verriet.

Artikel 3 von 3