Am 1. Mai stehen meist gerechte Löhne im Mittelpunkt. Bei der Kundgebung am Marienplatz, an der laut Polizei am Sonntag etwa 4000 Menschen teilnahmen, kam es zu Störungen in einem anderen Zusammenhang. Sowohl OB Reiter als auch eine ukrainische Gewerkschafterin wurden von Demonstranten ausgepfiffen und als „Kriegstreiber“ bezeichnet. Politiker und Politikerinnen zeigten sich schockiert. Auf einem Banner vor der Bühne war überdies zu lesen: „Arbeitgeber runter von der Bühne.“ Eine Kritik, die Simone Burger, Vorsitzende des DGB München, linken Gruppen zuschrieb.
„Eine aufgeheizte Stimmung“ nahm die SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Anne Hübner, wahr. Reiter sei „durchgehend ausgepfiffen“ und von einigen als „Kriegstreiber“ bezeichnet worden. In seiner Rede hatte er zuvor den „brutalen Angriffskrieg“ gegen die Ukraine gegeißelt und die deutschen Waffenlieferungen verteidigt. Auch der Stadtrat hatte sich mit einer Resolution klar positioniert. Die militärische Invasion sei ein eklatanter Bruch des Völkerrechts und durch nichts zu rechtfertigen, heißt es darin. München stehe an der Seite seiner Partnerstadt Kiew.
„Diskussion über Waffenlieferungen ist wichtig. Ob es dem demokratischen Diskurs nützt, wenn man durch Schreien und Pfeifen Reden von anderen verhindern will, ist fraglich“, teilte Florian von Brunn, Vorsitzender der Bayern-SPD, auf Twitter mit. „Die Worte Reiters haben aus meiner Sicht die Zustimmung der Mehrheit der Gewerkschaften getroffen“, kommentierte der Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff (SPD) am Sonntag.
Auch eine ukrainische Gewerkschafterin sprach auf der Bühne und bat um militärische Hilfe. Sie erntete ebenfalls Pfiffe, worüber sich Hübner heftig echauffierte. Burger distanzierte sich ebenfalls von den Zwischenrufen: „Uns ist es als Gewerkschaft wichtig, Themen sachlich zu diskutieren. Wir finden es unmöglich, jemanden als Kriegstreiber zu beschimpfen.“ Ob Deutschland Waffen an die Ukraine liefern solle, werde innerhalb der Gewerkschaften kontrovers diskutiert. Es sei deshalb auch Thema beim anstehenden Bundeskongress.
Reiter hatte zuvor in seiner Rede eine Initiative der Rathaus-Regierung für einen eigenen Mindestlohn angekündigt. Es sei zwar gut, dass die Bundesregierung zum 1. Oktober den gesetzlichen Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht. Davon würden auch rund 90 000 Münchner profitieren. „Trotzdem wird es für viele nicht reichen, eben weil die Lebenshaltungskosten in München deutlich höher sind als in anderen deutschen Städten“, sagte der OB. Die Stadtratsfraktionen von SPD und Grünen wollen nun diesen Münchner Mindestlohn etablieren. Dafür sollten sich das Referat für Arbeit und Wirtschaft, Unternehmen, IHK, Handwerkskammer, Gewerkschaften und die Stadtverwaltung an einen Tisch setzen, heißt es in einem gemeinsamen Antrag. SPD und Grüne schlagen vor, dass Unternehmen mit Beschäftigten im Niedriglohnsektor, die sich über die gesetzlichen Vorgaben hinaus an der Initiative beteiligen, ein Qualitätssiegel erhalten können.