von Redaktion

VON DIRK WALTER

Er gab den Olympischen Spielen 1972 ihr sympathisches Gesicht: Otto Aicher, den alle nur Otl nannten, war so etwas wie das personifizierte Gegenbild der Nazi-Spiele Berlin 1936. Heute wäre er, der im Alter von 69 Jahren früh an den Folgen eines Verkehrsunfalls starb, 100 Jahre alt geworden.

Aichers Grafikbüro war schon früh epochemachend, 1962 etwa entstand hier das Lufthansa-Logo. Dann wurde es als Abteilung XI des Nationalen Olympischen Komitees für das visuelle Erscheinungsbild der Spiele zuständig: Plakate, Fahnen, das ganze Design, ja selbst die Uniformen der Polizisten, die in ihren hellblauen Anzügen und der weißen Schiebermütze fast ein bisschen dandyhaft daherkamen, oblag Aichers Büro. Schon die Farbgebung hob sich deutlich von dem ab, was man von Deutschland bis dato erwartet hatte. Statt Schwarz, Rot, Gold oder gar Schwarz, Weiß, Rot wie im Kaiserreich dominierten Orange, Hellblau, Silber und ein leichtes Grün.

Und so waren die Spiele von München die ersten in der olympischen Geschichte mit einer eigenen Corporate Identity. Aicher überließ nichts dem Zufall, war ein bisschen ein Kontrollfreak. Die Farben etwa waren in einem Farbmusterkatalog gespeichert, nur bestimmte lizensierte Druckereien durften die Plakate vervielfältigen. „Man hat peinlich darauf geachtet, dass die Farben immer stimmen“, sagt Bernd Brandt, ein Olympia-Sammler, der in der Münchner Kapuzinerstraße auch eine kleine Galerie unterhält.

Häufig wird Otl Aicher auch die Urheberschaft der Piktogramme angedichtet – doch die Geschichte ist in Wahrheit viel komplizierter. Wie auch in anderen Fällen (den bekannten Olympia-Dackel Waldi etwa entwarf in seinem Büro die Grafikerin Elena Winschermann) hatte er seine Experten – die er als Vordenker dirigierte. In diesem Fall war es der Starnberger Grafiker Gerhard Joksch, der die legendären Balkenmännchen quasi in Serie zeichnete – natürlich in Absprache mit Aicher, aber eben in Eigeninitiative. Joksch ist vor zwei Jahren gestorben, seine Witwe Eva erinnert sich an Otl Aicher als eines eloquenten und feierfreudigen Menschen, der oft zu sich nach Rotis im schwäbischen Teil des Allgäus einlud, aber auch ein großes Ego hatte.

Sie hat noch etliche Briefe von Aicher in Verwahrung, an denen eines auffällt: Aicher schrieb stets klein – einzelne Wörter durch Großschreibung hervorzuheben, war für ihn ein Symbol für Hierarchie und Unterdrückung. Da war es nur konsequent, dass er am Ende sogar eine eigene Schrift entwickelte: die Rotis (benannt nach seinem Wohnort), die er erst nachträglich (und mutmaßlich widerwillig) mit Großbuchstaben ausstattete.

Noch in der NS-Zeit hatte der engagierte Linkskatholik seine spätere Ehefrau Inge Scholl kennengelernt – eine Schwester von Sophie Scholl. Die Hinrichtung der „Weiße Rose“-Gruppe bestürzte ihn – zusammen mit Inge wollte er die Geschwister Hans und Sophie, so erzählte es seine Schwester, noch im Gefängnis besuchen, kam aber zu spät. Das Urteil war bereits vollstreckt. Nach 1945 war der Tod der „Weißen Rose“ das Vermächtnis des Paares. Mit der Gründung einer Volkshochschule in Ulm ging es ihm um Volksbildung und Erziehung zur Demokratie. Aus der Volkshochschule entstand eine Hochschule für Gestaltung – die Wurzel des genialen Grafikers.

Design war für Otl Aicher stets politisch: Er begriff Gestaltung als soziale Kommunikation. Alltagsgegenstände sollten das Leben leichter machen, nicht durch überflüssigen Zierat und Schnörkel komplizierter. So wurde er zu einem Wegbereiter des Corporate Designs.

Ob in den 1960er-Jahren bei der Lufthansa oder bei Unternehmen wie dem Küchenhersteller Bulthaup – Aicher sorgte für ein prägendes Erscheinungsbild. Seine Theorie fasste er in Werken zusammen: „Die Küche zum Kochen“ (1982) oder „Greifen und Griffe“ (1987) – Aicher beriet auch einen Türgriff-Produzenten.

Weniger bekannt ist, dass Aicher an der Seite von Ehefrau Inge auch in der Friedensbewegung aktiv war. Doch bevor man Aicher zu sehr verklärt, sollte man auch die Worte seines Sohnes Florian Aicher bedenken, der heute in Rotis lebt und seinen Vater, wie er in einem Interview mit epd sagte, als streng und abwesend wahrnahm. „Er war ein Vater in der Mitte des 20. Jahrhunderts – ein Mensch, der zutiefst davon überzeugt war, dass er einen Teil zum Bau dieser Welt beitragen muss.“

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