Die unerwartete Corona-Sommerwelle mit stetig steigenden Fallzahlen wirft neue Fragen mit Blick auf das größte Volksfest der Welt auf. Um die Wiesn pandemiebedingt und ohne Einbußen auch noch kurzfristig absagen zu können, gibt es heuer ein spezielles Vertragswerk der Stadt mit den Beschickern. Sie erfahren erst eine Woche vor dem Fest, ob dieses auch wirklich stattfindet. Erst dann gibt die Stadt die Verträge für den Volksfest-Betrieb heraus: So soll gewährleistet werden, dass die Betroffenen keine Schadensersatz-Forderungen stellen können, die mit Steuergeldern bezahlt werden müssten. Der Corona-Schutzschirm ist gut fürs Rathaus und stellt die Wiesn-Beteiligten vor neue Herausforderungen.
TÜV für den Toboggan
Zum Beispiel die Familie Konrad, der die Holzrutsche Toboggan gehört. Zwei Jahre lang lag die Wiesn-Gaudi gut eingelagert in der Nähe von Landsberg. Nun geht es für Claus Konrad und seine Lieben darum, die Anlage zum Laufen zu bringen. Die Einzelteile müssen gewartet, für den Transport fertiggemacht und zum TÜV gebracht werden. Am 27. August beginnt dann der Aufbau. „Das alles kostet natürlich“, sagt Claus Konrad. Und bei einer Absage würde die Familie auf diesen Kosten sitzen bleiben. „Das ist unser Risiko.“ Nicht dabei zu sein, sei keine Option. Zu groß ist die Vorfreude. „Mein Jahresurlaub ist eingereicht“, sagt der Bundeswehrler – bereit für den Wiesn-Einsatz.
Der DJ ist gebucht
Auch DJ Raymaster X nimmt sich Zeit für seinen ganz speziellen Wiesn-Auftrag: Er ist der einzige DJ für ein Fahrgeschäft, dem Techno Power. Eine Sonderrolle, die Helmut Obertanner gern einnimmt. Für ihn war klar: Kommt das Oktoberfest zurück, dann ist auch er wieder am Start: „Dann bin ich dabei und gebe Vollgas.“ Entsprechend sind die Tage und Wochenenden, an denen er ansonsten im Neuraum, in der Nachtgalerie, bei Geburtstagsfesten oder Hochzeiten auflegen würde, geblockt. Große Lust ist da, aber auch viel Skepsis. „Ich freue mich erst, wenn es wirklich losgeht.“
Dirndl liegen bereit
Das ist bei Bettina Ende anders: 32 Mal schon war sie Bedienung auf der Wiesn, die letzten 15 Mal im Mittelschiff in der Ochsenbraterei. Mittendrin im Gewusel! Beim Gedanken daran, dass heuer ihr 33. Einsatz ansteht, leuchten ihre Augen. „Ich bin Feuer und Flamme“, sagt die 57-Jährige euphorisch und mit fröhlicher Stimme. Die Arbeitsausrüstung hat die Fränkin schon auf Vordermann gebracht, ihre Wiesn-Unterkunft bei der Freundin in München ist „gebucht“, der Arbeitsurlaub vom eigentlichen Arbeitgeber, einem Eventunternehmen, längst genehmigt. „Nun muss die Wiesn nur noch stattfinden.“ Ansonsten platzt der Vertrag mit dem Zelt. Der finanzielle Ausfall wäre herb, die Enttäuschung riesengroß.
Ganz oder gar nicht
Manfred Schauer mag an eine Absage gar nicht denken. Er ist ein wahres Wiesn-Original und hat gleich zwei wunderbare Aufgaben: das verrückte Schichtl-Kabinett auf die Bühne zu bringen und zugleich im Restaurant für Schmankerl zu sorgen. Trotz zwei Jahren Pause hatte er seine Theater-Gruppe schnell wieder zusammen. „Auch mit neuen Gesichtern.“ Bei den Vorbereitungen für das Schichtl-Gastrozelt braucht es Schauer zufolge derzeit vor allem eines: „Fairness“. Nur so könnten Wirte und Lieferanten sich auf die unsichere Wiesn 2022 einstellen. Klar, eine mögliche Absage bleibt im Hinterkopf, sagt Schauer, aber er mache sich nicht verrückt. „Ganz oder gar nicht“, sagt das Urgestein. Und plant weiter. „Ich kann ja nicht beeinflussen, wie es am Ende ausgeht.“
Abwarten am Stand
Die Wiesn, frische Brezn und überall fröhliche Gesichter: Für Elfriede Grimmig ist das die ideale Kombination. Seit 1965 verkauft die Münchnerin das bayerische Gebäck vor den Bierzelten: in den Jahren vor der Pandemie beim Augustiner. Und genau dorthin kehrt sie im September zurück – mit 76 Jahren! „Natürlich bin ich dabei“, sagt sie und lacht. Die Brezn-Verkäuferin ist entspannt: Die Übergabe des Standes erfolgt erst am 14. September, die Bestellungen beim Bäcker folgen zur Eröffnung. Bei einem Ausfall hat sie keine Einbußen. Eine gute Position!