Keine halbe Stunde nach Beginn sackt Andreas Gabalier zusammen. Über eine Minute liegt der Großmeister des Schlagers still auf dem Bühnenboden, das Gesicht verdeckt mit einem schwarzen Handtuch. Nanu? Hallihallo? Ist er so ergriffen von der Stimmung seiner 90 000 Fans? Oder kapituliert da jemand vor dieser XXL-Kulisse, die es so groß und so speziell noch nie in München gab? Ach woher: alles Show! Gabalier kann Olympiahalle, Olympiastadion und natürlich auch die Messe. Und wie!
Andreas Gabalier macht aus dem Schotterfeld im Münchner Osten in rasanter Folge ein Handy-Funkelmeer („So liab hob i di“), ein Pyro-Festival („Vergiss mein Nicht“) und eine Rock-Bühne („Die Beichte“). Er spielt mit Herzschmerz und Party-Eskalation und klingt dabei manchmal wie eine Mischung aus Rammstein, Eminem und Falco. Aber mit so schnulzigen Texten, dass es nur Schlager sein kann.
An diesem Abend ist einfach alles XXL: Die Bühne sieht aus wie ein UFO, die Video-Leinwände sind riesig und selbst die Anmoderation macht der Berliner XXL-Comedian Mario Barth. Über zwei Jahre mussten die Fans wegen Verschiebungen auf dieses Spektakel warten. 90 000 sind da (nicht ganz ausverkauft), die meisten Gabalier-typisch in Dirndl oder Lederhosen. „Mir zittern die Knie vor lauter nervös“, sagt er. Der Abend sei „die größte Anspannung meiner Laufbahn“. Vor allem ist es aber eine ziemlich großartige Party.
Drei Minuten zu früh fährt Gabalier aus dem Boden, reißt erst mal stumm die Hände hoch und damit die Leute auch ganz hinten von den Sitzen. Das erste Feuerwerk geht hoch, der Bass lässt die Zwerchfelle fast schon zu sehr dröhnen. Nach der ersten Viertelstunde sind bereits nahezu alle Hits angespielt. Aber trotzdem wabern Stimme und Stimmung zunächst auf dem weitläufigen Gelände immer wieder gnadenlos davon; es ist eben kein Stimmungs-Kessel wie das Olympiastadion. Gabalier nimmt sich immer wieder mal eine Auszeit zum Durchschnaufen, was die Fans mit „Oh wie ist das schön“-Gesängen überbrücken.“ Zwischendrin muss ich heute einfach mal genießen“, sagt Gabalier. „Weil ich das erst einmal realisieren muss.“ Dann aber, mit Einbruch der Dunkelheit, wird es richtig stark. Schunkeln, Mitsingen, Laser, Volks-Rock-’n’-Roll. Gabalier-Mania in München!
Zu hören gibt’s ein bisschen Neues und viel Bekanntes – auch zwischen den Liedern. Gabalier, nicht ganz unumstritten, wandelt wieder mal geschickt zwichen seinen Rollen als Haudrauf mit massiven Oberarmen und schüchternem Lausbuben aus der Steiermark. Die „verdammte Pandemie“ spricht er ein paar Mal zu oft an, gibt sich sonst bescheiden und gibt sich dabei vor allem oft selbst Recht.
So überpünktlich es los geht, so deutlich überzieht Gabalier hintenraus die streng angesetzte 22.30-Uhr-Deadline. Der Rausschmeißer der XXL-Party ist sein sentimentalstes Lied. Mit Piano und Cello arrangiert er „Amoi seng’ ma uns wieder“. Bis die Realität leider etwas zu schnell zurückkommt. Denn während Gabalier wie immer noch lange Autogramme schreibt, dröhnt statt Hulapalu eine Computerstimme mit Abreise-Tipps übers Gelände. Diese XXL-Bühne bleibt ein XXL-Kampf. Auch für den Großmeister des Schlagers. SEBASTIAN DORN