Mit Tränen in den Augen hält Simon Socher (80) das Sterbebild seines Sohnes Michael (†54) in den Händen. „Er war ein feiner Kerl. Ich vermisse ihn so“, sagt der Rentner traurig. Doch dann kommt die Wut in ihm hoch: „Michael wollte leben, doch die Ärzte haben ihm nicht geholfen. Sie haben meinen Sohn getötet.“
Was war passiert? Bereits im Herbst 2021 musste Michael Socher mit Organ-Beschwerden zum Arzt, später ins Klinikum nach Fürstenfeldbruck, von wo er dann am 3. Januar nach Großhadern verlegt wurde. Die Diagnose: schwere Herzmuskelentzündung, Leber- und Niedenschäden.
„Michael ging es immer schlechter“, sagt der Vater. „Er musste auch zur Dialyse.“ In Großhadern kämpften die Ärzte um sein Leben, Michael kam auf die Intensivstation. Am 18. Januar dann der Schock: „Die Familie wurde einbestellt. Wir sollten uns in einem Sterbezimmer von Michael verabschieden“, sagt Simon Socher. „Ich konnte das nicht glauben, denn morgens hatte ich noch mit meinem Sohn telefoniert, da war er gut drauf.“
Doch die Ärzte sahen es anders. Ein Herz-Spezialist teilte Simon Socher mit: „Wir spielen mit offenen Karten. Ihr Sohn wird nicht mehr weiter therapiert.“ Denn das würde „sein Leiden nur verlängern“, sagte ein zweiter Mediziner. Ein Albtraum für die Familie. Denn zwei Tage später ist Michael tot. Für Simon Socher ein Medizinskandal. Er sagt: „Weder Michael noch ich haben dem Abschalten der Geräte zugestimmt.“ Sein Sohn habe die lebensnotwendige Behandlung weiter fortsetzen wollen und sei dann sogar gegen den eigenen Willen in das Sterbezimmer gebracht worden.
Inzwischen hat die Familie Strafanzeige gegen den behandelnden Arzt eingereicht. Der Tatvorwurf lautet: Totschlag. „Es ist zu einer Widersetzung gegen den konkreten Willen und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gekommen. So etwas darf einfach nicht passieren“, sagt Anwältin Patricia Jaritz, die die Familie Socher vertritt. „Es wurde seitens der Klinik niemals eine schriftliche Einwilligung eingeholt, dass die medizinische Behandlung abgebrochen werden soll. Michael Socher hat nie eingewilligt, sterben zu wollen“, erklärt die Münchner Medizinrechtsexpertin.
Derweil ermittelt jetzt auch die Staatsanwaltschaft gegen den behandelnden Arzt. Sprecherin Juliane Grotz sagt: „Ich kann bestätigen, dass hier gegen den Beschuldigten Dr. K. ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingeleitet wurde. Er befindet sich nicht in Untersuchungshaft.“
Das Klinikum Großhadern teilt dazu auf Anfrage mit: „Die erhobenen Vorwürfe sind uns bekannt und werden entschieden zurückgewiesen. Aufgrund der Schweigepflicht, des Datenschutzes sowie der laufenden Ermittlungen werden wir keine weitergehenden Angaben zum Sachverhalt machen.“
Nun wird es Jaritz zufolge auf einen abschließenden Obduktionsbericht ankommen: Der soll klären, ob Michael Socher noch hätte leben können. Eine zivilrechtliche Klage kündigte die Anwältin auch in Bezug auf die Hinterbliebenenrechte an. Sollte sich herausstellen, dass Michael Socher leben wollte, aber sterben musste, würde nicht nur die Klinik zu Schadensersatz verpflichtet. Dem behandelnden Arzt droht dann auch eine mehrjährige Haftstrafe.
Rechtlich sind Ärzte oft auf dünnem Eis. Ganz grundsätzlich ergibt sich hier etwa das Problem, dass ein Mediziner eine Körperverletzung begeht, sofern ein Patient einer Behandlung wie einer Operation nicht zustimmt. Ausnahmen finden diese Regelung natürlich in Notfallsituationen. „Im Zweifel gilt immer der Vorrang des Lebens“, sagt Anwältin Jaritz. Ärzte müssen also alles dafür tun, dass ein Patient so lange wie möglich lebt – Michael Socher habe das klar gewollt, sagt Jaritz. Er habe sogar auch den Wunsch geäußert, die Klinik zu wechseln. „Michael saß sogar bei der Verabschiedung noch aufrecht im Bett“, sagt sein Vater. A. THIEME