Immer mehr Menschen in München melden sich krank – mit oder wegen Corona. Die Kliniken verzeichnen 623 Betten mit Corona-Infizierten. Das sind 101 Patienten mehr als in der Vorwoche. Ein Mediziner sagte unserer Zeitung, dass die Situation in den Notaufnahmen nie schwieriger gewesen sei. Und die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) hat wegen zunehmender Krankheitsfälle bereits den Fahrplan beim Bus zusammengestrichen.
War die Wiesn ein Fehler? Grundsätzlich nicht, sagt die Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion, Anne Hübner. Aber: „Ein Oktoberfest völlig ohne präventive und begleitende Schutzmaßnahmen hat zu den hohen Inzidenzen jetzt beigetragen. Die Überlastung der Kliniken und der MVG darf sich so nicht wiederholen.“ Deshalb solle die Stadt für das kommende Jahr überlegen, welche Maßnahmen angezeigt seien.
Ihr Parteikollege, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, schrieb auf Twitter von einer selbst gemachten Katastrophe. „Ich rechne fest damit, dass wir an der Maskenpflicht im Innenraum nicht vorbeikommen.“ Karl Lauterbach müsse sich mit Ratschlägen zurückhalten, kontert Hübner: „Es redet sich immer leichter, wenn man nicht zuständig ist oder sich vorher nicht zuständig fühlte.“
Kurios: OB Dieter Reiter (SPD) hatte sich im Vorfeld der Wiesn-Genehmigung mit dem Gesundheitsminister abgesprochen. „Auf meine Nachfrage im April, ob es Zugangsbeschränkungen geben könnte, hat er geantwortet, dass es dazu keine rechtlichen Möglichkeiten gibt und auch für Herbst keine zu erwarten sind.“ Zugangsbeschränkungen wie beispielsweise das von Reiter präferierte 1G, also nur frisch Getestete auf das Festgelände zu lassen, waren damit nicht möglich. Bund und auch der Freistaat hätten nicht den Mut gehabt, die Voraussetzungen zu schaffen. „Zudem hat der Bundesgesundheitsminister mehrmals deutlich gemacht, dass er keinen harten belastbaren Grund sehe, die Wiesn abzusagen. Insofern wundern mich seine aktuellen Äußerungen schon.“
Reiter hatte bereits im Vorfeld der Wiesn gesagt, dass er davon ausgehe, dass die Infektionszahlen deutlich steigen werden. „Das ist eingetreten. Wir diskutieren seit Tagen über mögliche kurzfristige Lösungen – für alle Kliniken, die die Notfallversorgung gewährleisten müssen – und werden hier als Kommune unterstützen, soweit dies möglich ist.“
Wirtschaftsreferent und Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) sieht die Wiesn jedenfalls nicht als Fehler. „Sie war goldrichtig, weil die Menschen mal wieder durchschnaufen konnten, weil die Wiesn als Volksfest herausragende überregionale Bedeutung hat und viel Freude ausgelöst hat.“ Für das Schüren von Panik seien andere verantwortlich, wie beispielsweise Karl Lauterbach. „Der ist mit der Bundesregierung im Übrigen für die Öffnung von Volksfesten zuständig. Da kann er sich bei sich selbst beschweren.“
Die Wiesn sei sicher ein Risiko gewesen, sagt Grünen-Chef Dominik Krause. „Das wussten wir. Was wir aber nicht wussten, war, wie stark sich das Oktoberfest auf die Corona-Zahlen auswirken wird.“ Nun sei man diesbezüglich schlauer. „Wir werden uns das in den nächsten Jahren anschauen müssen.“ Das Fest selbst sei kein Fehler gewesen, aber man hätte genauer hinschauen müssen, unter welchen Bedingungen es stattfindet. „Klar ist aber auch, dass es keine rechtliche Grundlage für Maßnahmen gab, beispielsweise für Tests an den Eingängen.“