Es sind harsche Vorwürfe, die Martin Hagen, der Fraktionschef der FDP im Bayerischen Landtag, gegenüber dem Münchner Kreisverwaltungsreferat erhebt: „Das grün geführte KVR erscheint hier als verlängerter Arm radikaler Klimaaktivisten“, sagte er gestern gegenüber unserer Zeitung. Der Hintergrund: Am Montag hatten Aktivisten der „Letzten Generation“ sich am Stachus auf der Straße festgeklebt und Chaos im morgendlichen Berufsverkehr ausgelöst. Diese Aktion hatten die Klima-Kleber bereits am Freitag angekündigt, mit genauer Orts- und Zeitangabe. Das KVR war daraufhin von sich aus tätig geworden und hat den Klima-Aktivisten für ihre „Versammlung“ Auflagen gemacht, unter anderem untersagten sie das Festkleben auf der Fahrbahn.
„Mit seiner proaktiven Genehmigung fällt das KVR Bürgern und Ordnungshütern in den Rücken. Ein Skandal!“, findet Hagen. Die CSU-Stadtratsfraktion sieht das ähnlich: „Das KVR darf sich nicht zum Handlanger der Klima-Kleber machen. Es muss aufgeklärt werden, ob und warum die Stör-Aktionen proaktiv zur Versammlung erklärt wurden. Hier wird möglicherweise ein Präzedenzfall geschaffen, der mehr Chaos als Ordnung schafft“, sagt Fraktionsvize Evelyne Menges. Eine Folge der Wertung als „Versammlung“: Die Klebe-Aktion galt unter diesen Umständen nicht wie bisher als Straftat, sondern lediglich als Verstoß gegen die Demonstrationsauflagen.
Der Liberale Hagen findet, dass Versammlungen der Klima-Aktivisten künftig nicht mehr genehmigt werden dürften. „Nachdem davon auszugehen ist, dass die ‚Letzte Generation’ Versammlungsauflagen auch künftig ignorieren wird, dürfen ihre Aktionen auch nicht mehr genehmigt werden.“ Als Vorbild könne für Hagen hier der Umgang mit dem Protest gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung herhalten. „Gegen Corona-Demonstrationen ist das KVR in den letzten Jahren streng vorgegangen – die gleichen Maßstäbe müssen auch jetzt gelten“, sagt der FDP-Fraktionschef.
Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat nach den Geschehnissen vom Montag ebenfalls das Gespräch mit der Behörde gesucht. Das Ergebnis: „Das KVR hat mir versichert – auch in Abstimmung mit der Polizei – alle rechtlich zulässigen und erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um diese Art des Protestes, die Menschen bewusst massiv behindert und sogar eventuell gefährdet, zu unterbinden.“
Auch die Behörde selbst reagierte gestern auf „die Kritik am KVR, die von einzelnen Landtagsabgeordneten der FDP, der CSU-Stadtratsfraktion und der Staatskanzlei jüngst erfolgt sind“. Dafür sei ein kurzer Exkurs ins Grundgesetz und das Versammlungsrecht erforderlich. „Nach der Rechtsordnung des Grundgesetzes werden Versammlungen nicht genehmigt oder erlaubt, sondern angezeigt.“ Sprich: Versammlungen sind per se nicht genehmigungspflichtig. Das KVR kann diese allerhöchstens beschränken, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet wäre. „Genau das hat die Versammlungsbehörde getan“, sagt der Sprecher und verweist darauf, dass das Festkleben auf der Fahrbahn explizit untersagt und die Versammlung an sich auf den Grünstreifen verlegt worden sei.
Doch warum ist das KVR überhaupt selbst tätig geworden, obwohl die Aktivisten selbst keine Versammlung bei der Behörde angemeldet hatten? Laut KVR-Sprecher wurde die Behörde nach der öffentlichen Ankündigung mit genauer Angabe von Ort und Zeit zum Handeln gezwungen. „Allein die Tatsache, dass eine Versammlung (ob angezeigt oder nicht) stattfindet, führt dazu, dass die zuständige Versammlungsbehörde tätig werden muss“, stellt das KVR klar. Zudem konnte die Polizei durch die Ankündigung die Straße bereits vor der Blockade sperren und den Verkehr ableiten.
Derweil sitzen vier der Klima-Aktivisten erneut in Stadelheim – zwei von ihnen dürften dort sogar Weihnachten und Silvester verbringen. Nach der Blockade am Nikolaustag am Ende der Lindauer Autobahn (A96) hatte die Polizei für alle vier Männer je fünf Tage Gewahrsam beantragt, um so weitere Straftaten zu verhindern. Der Richter sei jedoch über die beantragte Dauer hinausgegangen und habe angeordnet, dass zwei der Männer, Wolfgang M. (48) und Winfried L. (63), je 30 Tage lang bis zum 5. Januar ohne Prozess von der Justiz festgehalten werden. Nur wenn sie eine Protestpause ankündigen, könnten sie früher freikommen. Laut Polizei sei dies der erste Fall in Zusammenhang mit den Aktivisten, in dem der Richter einen deutlich längeren Gewahrsam als beantragt angeordnet hat.
Laut Amtsgericht wird Gewahrsam angeordnet, um eine „unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern“. Die Aktivisten der „Letzten Generation“ wollen alle weiter auf die Straße gehen. Warum manche von ihnen länger im Knast sitzen als andere, erklärt ein Gerichtssprecher so: Jeder Fall werde einzeln von einem unabhängigen Richter geprüft. Außerdem prüfe der Richter, ob die angekündigten Taten zeitlich eingrenzbar sind. Die Länge des Gewahrsams richte sich nach dem Zeitpunkt, für den die Aktivisten weitere Aktionen ankündigen, heißt es.