„Neulich hab ich die Herrscherin wieder amal vorbeifahren gsehn“, sagte meine Nachbarin vor ein paar Tagen bei einem Treppenhaus-Pläuschchen; sie bepackt mit dem Wäschekorb, ich bepackt mit Einkaufstasche. Die stellte ich nun also ab. Gerdi von Gegenüber nennt die Dame, die in hoheitsvoller, zugleich nonchalanter Haltung in ihrem rollstuhlartigen Elektrogefährt durch unsere Straßen rollt, durchaus zu Recht „Herrscherin“. Ihr Habitus ist souverän, schon allein wegen ihres weiten umhangartigen Mantels, den sie geschickt über sich und ihre Fortbewegungshilfe drapiert. Und wer ihr ins Antlitz schaut, die leicht mokanten Züge und die ironischen Blicke wahrnimmt, weiß: Das ist kein bedürftiges Wesen. Behinderung? Was soll das sein? So könnte eine legendäre Heroine eine alternde Frau spielen.
Ich bezeichne die „Herrscherin“ für mich selbst immer als Churchills Schwester, weil sie beim Fahren stets eine Zigarre oder einen Zigarillo raucht. Inszenierung ist alles, und Lady Churchill ist einfach eine Schau. In meine Gedankenabschweifungen hinein meldete Gerdi empört: „Und sie hat sich ziemlich bald überhaupt nicht mehr bewegen können!!!“ Verschreckt fragte ich: „Ist ihr was passiert?“ „Ja: Elektroscooter, oder wia des Graffl hoaßt.“ Ich erfuhr, dass sowohl Trottoir als auch Radlweg so sehr von diesen Rollern vollge- und verstellt gewesen seien, dass die Grande Dame keine Chance gehabt habe, an dem Spielzeug für Stadtneurotiker vorbeizukommen. Hilfreiche Fußgänger hätten sich erst durch die Hindernisse winden müssen, um sie wegräumen zu können. Huldvoller Dank sei ihnen reichlich gespendet worden.
Ich konnte die Beobachtung meiner Nachbarin nur bestätigen. Nach einigen Monaten, in denen man einigermaßen von mietbaren E-„Tret“rollern, E-Rollern und E-Radln verschont war, stehen sie seit Herbst wieder in Massen herum – an den unmöglichsten Plätzen. „Wie mit Absicht versperren sie den Gehsteig; und bei dem geht’s ja eh oft eng her. Jetzt fahren dich Roller und Radl übern Haufn, obwohl du dich weder auf der Radlfurt noch auf der Straße aufhältst“, schimpfte ich und berichtete Gerdi von einem kleinen Unfall an der Ecke Nördliche Auffahrtsallee und Notburgastraße. „Da, wo die Schulkinder über die Straße müssen?“ „Genau“, bestätigte ich. „All der Mobilitätsmüll und diverse Radlfahrer haben sich an der Kreuzung und den Fußgängerüberwegen zammzwengt; die Schülerinnen und Schüler mussten sich durch den Mini-Restraum quälen. Prompt hat’s an Buben hinghaut. Zum Glück is nix Schlimmes passiert.“
Gerdi und ich wunderten uns noch, dass ausgerechnet bei einer grün-roten Stadtregierung die Schwächsten im öffentlichen Raum am wenigsten geschützt werden. „Warum werd des Zeigl ned komplett verbotn, is doch nur Gschäftemacherei. Und wer koa Rücksicht nimmt, sojdad ned unterstützt wern“, brachte es die Nachbarin auf den Punkt.
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