Der Schnee von gestern

von Redaktion

PETER T. SCHMIDT

Wo sind die Klima-Kleber eigentlich, wenn man sie mal braucht? Da könnten sie einmal ihre Expertise als Adhäsionsfachkräfte eindrucksvoll unter Beweis stellen, dabei den Klimawandel thematisieren und sich anders als bisher breiter gesellschaftlicher Zustimmung sicher sein. Aber keiner lässt sich blicken. Dabei wäre Eile geboten: Vor ein paar Tagen hätte sich der Versuch noch gelohnt, den Schnee einfach festzukleben. Jetzt lässt das Tauwetter die letzten Reste dahinschmelzen und macht alle Sehnsüchte und Hoffnungen auf eine weiße Weihnacht zum Schnee von gestern.

Dass die in unzähligen Liedern heraufbeschworene „White Christmas“ ein recht subjektives Idealbild ist, vermag die Enttäuschung nicht zu lindern – im Gegenteil: Mir kam es als Bub immer seltsam vor, wenn am Heiligen Abend Tante Friedl aus Hawaii anrief und erzählte, dass sie gerade vom Morgenbad im Pazifik komme. Für die Australier fällt das Fest in den Sommer, und auch dort, wo Weihnachten erfunden worden ist, in Bethlehem, haben sie um diese Jahreszeit sonnige fünf bis 15 Grad. Das reicht zum Frieren in schlecht geheizten Häusern, aber auf keinen Fall für „White Christmas“.

Aber was bedeuten schon Fakten, wenn uns Generationen von Oberammergauer Kripperlschnitzern mit tief verschneiten Almhütten samt Ochs, Esel und Jesuskind ein anderes Bild ins Hirn graviert haben – dummerweise eines, das in Zeiten des Klimawandels immer seltener zu sehen sein wird?

Zugegeben: Solange man im Warmen sitzt, ist es ja wunderschön, draußen in klirrender Kälte Schneeflocken tanzen zu sehen. Dann strahlen die Lichter am Christbaum gleich noch ein bisserl heller, und die innere Kälte, die wenig mit Temperatur zu tun hat, aber viel mit einer Leere, die sich mit Geschenken nicht füllen lässt, tritt für eine Weile in den Hintergrund.

Wir werden uns mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass das Vergangenheit ist. Der Klimawandel hat „White Christmas“ aus den Hitparaden gefegt, wir brauchen ein anderes Leitmotiv für das Fest der Feste.

Statt dem Schnee nachzutrauern, könnten wir uns der Menschen um uns herum besinnen. Uns ihnen zuwenden, ihnen Zeit widmen. Mit etwas Glück entzünden wir damit ein inneres Licht, das alle wärmt. Wir haben es bitter nötig in diesen Zeiten, und wann, wenn nicht jetzt, wäre die Gelegenheit günstiger. Schließlich haben wir Zeit. Schon der große Karl Valentin hat uns gelehrt: „Wenn die staade Zeit vorbei is, werd’s a wieda ruhiger“. Wenn wir sie richtig nutzen, liegt in dieser Ruhe vielleicht wirklich einmal die Kraft. In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten!

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