Kurz zurück zu Silvester, dem Tag, der die gesellschaftspolitischen Diskussionen des neuen Jahres bestimmt: Ich fand, es war ein gemütlicher Abend. Auf 3sat liefen Konzerte, das war Unterhaltung genug, ich hatte nicht das Bedürfnis, die Wohnung zu verlassen. Dank geschätzter Innenhoflage habe ich auch wenig von der Böllerei auf der Straße mitbekommen; bei den Katzen herrschte jedenfalls wenig Aufregung, die elfjährige Britisch Kurzhaar richtete sich auf dem Küchentisch liegend nur kurz auf, um den Lichterschein von draußen halb erstaunt, aber letztlich routiniert zur Kenntnis zu nehmen.
Das Thema Feuerwerk, das nun seit Tagen diskutiert wird, lässt mich komplett kalt. Eine Phase des Interesses hatte ich vor knapp fünf Jahrzehnten, in den unteren Gymnasialstufen. Damals handelte ein Mitschüler mit sogenannten Judopfürzen, die aussahen wie Dynamitstangen aus den Lucky-Luke-Heften, nur eben in Miniatur. Judopfürze waren angesagt, um einen älteren Lehrer, einen Benediktiner-Pater, der schon weit über die Pensionsgrenze hinaus arbeitete, im Unterricht ein wenig zu verschrecken. Allerdings war er zu schwerhörig, um der Explosionen unter den Bänken gewahr zu werden. Ich erwarb damals für zwei Mark ein kleines Arsenal an Judopfürzen, beendete meine Feuerwerker-Karriere allerdings bereits vor ihrem Beginn, weil es in meinem Schulranzen offensichtlich durch ungünstige Reibungsprozesse zu einer Selbstentzündung kam. Im Kinderzimmer. Das führte zu einer akustischen und olfaktorischen Gemengelage, die ich meinen Eltern nur mit einer großartigen Fantasieleistung plausibel darlegen konnte.
Man muss wissen, wenn man selbst für etwas nicht geschaffen ist und ein handelsüblicher China-Böller zur Bedrohung werden würde. Deswegen bin ich allenfalls Feuerwerk-Analytiker und -Theoretiker. Ich schaue gerne hin und glaube, ein Gespür für die Choreografie der Lichtspiele am Nachthimmel zu haben: erst gleichmäßiges Abfeuern, dann nach kurzem Innehalten ein Crescendo, ein sich Überschlagen und schließlich ein final dröhnender Knall, nach dem einem verbrannte Luft in die Nüstern weht. Es ist wie im Klassik-Konzert: Wer das Gespür hat, erkennt den finalen Akkord und weiß, wann er mit Klatschen anfangen kann.
Was ich mit den Jahren auch gelernt habe: Es gibt gutes und böses Feuerwerk. Verurteilt wird, wenn es in der Kurve eines Fußballstadions lodert, da echauffieren sich auch die deutschen Michel, die an Silvester gar nicht Pyromanen genug sein können. Hingegen ist es „romantischer Feuerzauber“, wenn beim Skispringen oder beim Nachtslalom in Schladming ein Zuschauer mit bengalischer Fackel am Hang steht. Und wenn beim Sommernachtstraum im Olympiapark eine halbe Stunde vom Berg aus gezündet wird, dass man um die Statik des nahen Stadionzeltdachs fürchten muss, dann ist das zu unterlegen mit „Oh“ und „Ah“, weil man schließlich bezahlt hat für die Chose und sie daher geldwert gut finden muss.
Nicht-Profis dürfen sich nur an wenigen Stunden im Jahr austoben. Soll das – Diskussion dieser Tage – verboten werden? Noch 356 Tage bis Silvester 2023. Mir egal, was entschieden wird. Auf 3sat kommen sicher wieder Konzerte.
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