Als der Terror nach München kam

von Redaktion

München – In der Innenstadt knallen die Korken und die Faschingspistolen, die Marktweiber tanzen auf dem Viktualienmarkt. Der 10. Februar 1970 ist ein föhniger Dienstagmittag, Kehraus in München. Auch am Flughafen in Riem knallt es, um 12.53 Uhr, zwölf Kilometer östlich des narrischen Treibens. Es ist eine Handgranate. Sie detoniert, nachdem 33 Minuten zuvor eine Boeing 707 (Flugnummer LY 435) der israelischen Fluggesellschaft EL Al zwischengelandet ist. Zwei weitere Explosionen folgen.

Drei arabische Terroristen versuchen, die Maschine während des kurzen Aufenthalts in München zu entführen. Im Transit-Bereich sitzt auch der Sohn des israelischen Verteidigungsministers sowie die berühmte israelische Schauspielerin Hanna Maron, die in Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ mitspielte. Das palästinensische Terrorkommando schießt mit Sturmgewehren und wirft Handgranaten. So wollen die Männer die Passagiere zurück an Bord treiben, um das Flugzeug nach Libyen zu entführen. Die erste Konfrontation von arabischen Terroristen und Israelis auf westdeutschem Boden, der erste Versuch, ein israelisches Verkehrsflugzeug in der Bundesrepublik zu entführen.

Arie Katzenstein, 31, steht mit seinem Vater bereits im Transit-Bus zur Maschine. Er wirft sich auf eine Granate, um andere zu schützen. Er stirbt. Der Vater bedauert ein Leben lang, dass nicht er sich geopfert hat. Um 12.59 Uhr verlässt der erste Notarztwagen das Klinikum rechts der Isar, um später elf Verletzte zu bergen. Arie Katzenstein ist da bereits verblutet. Die Palästinenser sorgen für ein Blutbad, aber der Tag hat auch Helden – Helden wie Katzenstein.

Und Pilot Uri Cohen. Er attackiert zwei der Terroristen in der Transithalle und verschafft der Polizei Zeit. Die Entführer lassen weitere Granaten fallen, Cohen wird schwer verletzt. Genau wie Hanna Maron, ihr wird später ein Bein amputiert. Am Nachmittag zieht Münchens Polizeipräsident eine traurige Bilanz: „Ein Toter, elf Schwer- und Leichtverletzte“.

Zum Jahrestag 2023 geben die Stadt München und das Unternehmen Brainlab AG, das am Ort des Anschlags heute seinen Firmensitz hat, bekannt, dort einen Gedenkort zu schaffen. Künftig soll ein Arrangement aus künstlerischen Elementen sowie historischen Informationen an den Bombenanschlag und seine Folgen erinnern.

Heinz Katzenstein war in Kassel geboren worden und als Jugendlicher mit seiner Familie vor der nationalsozialistischen Judenverfolgung nach Palästina geflohen. Sein Sohn Arie besaß die israelische und die deutsche Staatsangehörigkeit, hatte mehrere Jahre in München gelebt und hier sein Studium absolviert. Gemeinsam mit ihrer Familie ist der Gedenkort entwickelt worden. „Es berührt uns sehr, dass dieses tragische Ereignis in München nicht vergessen ist, sodass unsere Kinder und Enkelkinder einen Ort haben, den sie zum Gedenken besuchen können“, zitiert eine Mitteilung der Stadt die Kinder von Arie Katzenstein.

Der Anschlagsort ist heute Teil des Brainlab-Firmengeländes. Das Medizintechnikunternehmen gewann die international renommierte Künstlerin Alicja Kwade für die Umsetzung des Gedenkkunstwerks – sie hat unter anderem den Dachgarten des Metropolitan Museums of Modern Art in New York gestaltet. Für das Werk in Riem werden Stahlrahmen ineinander versetzt auf der Freifläche vor dem historischen Flughafentower platziert. An den Rahmen sind Zifferblätter zu finden, die sich in der formalen Gestaltung an der nicht mehr vorhandenen historischen Uhr am Tower orientieren. Die Fertigstellung ist für 2024 geplant.

1970 steht München unter Schock. „Woche der Katastrophen“, heißt es damals in unserer Zeitung. Drei Tage später folgt der Anschlag auf das jüdische Altenheim an der Reichenbachstraße, sieben Menschen sterben. Nochmals vier Tage später werden drei Palästinenser in Riem verhaftet – die Männer haben Schusswaffen bei sich. Durch eine Flugzeugentführung wollten sie in Israel inhaftierte Kampfgenossen freipressen. Der Terror ist in Deutschland angekommen. VON JOHANNES LÖHR UND STEFAN SESSLER

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