Die Pionierin hinterm Steuer

von Redaktion

VON DANIELA POHL

Dass sie hinters Lenkrad gehört, war Vogt schon zu Schulzeiten klar. Doch eine Frau als Berufskraftfahrerin – damals undenkbar. „Ich habe zuerst als Sekretärin gearbeitet. Es war ein guter Job, aber es war nicht meine Erfüllung.“ Ihr großer Traum: Busfahrerin! „Ein Bekannter von mir hat gelacht. Da hättest du als Mann auf die Welt kommen müssen, hat er gesagt.“ Doch das stachelte sie nur noch mehr an. Abends nach der Arbeit ging sie auf eine Verkehrsfachschule, um den Bus-Schein zu machen. „Der Chef hat damals zu mir gemeint: Überlegen Sie sich das gut. Das wird kein Zuckerschlecken. Aber dass es so hart werden würde, hätte ich nicht gedacht. Ich bin ein paar Mal wirklich an meine Grenzen gekommen.“

Nach unzähligen Absagen stellte sie endlich ein Fuhrunternehmen ein, bei dem sie ihre zweijährige Praxiszeit absolvieren konnte – die Voraussetzung zum Erwerb des Bus-Scheins. „Meine erste Palette Buttermilch landete beim Beladen erst mal komplett im Hof.“ Die Häme ihrer ausschließlich männlichen Kollegen war groß, doch der Chef stand zu ihr. Und Vogt fand sich schnell zurecht: Schon bald kurvte sie wie selbstverständlich zwischen München und Regensburg mit einem 26-Tonner-Lastzug herum. Praxistest bestanden!

Auch privat fand sie ihr großes Glück: Auf einer ihrer Touren lernte sie in Regensburg ihren künftigen Mann kennen und lieben.

1975 hatte Vogt dann den heiß ersehnten Bus-Schein in der Tasche und durfte endlich Fahrgäste befördern. „Ich war für ein privates Unternehmen tätig.“ Denn die Stadt wollte sie nicht: „So weit sind wir noch nicht, dass wir Frauen einen Bus in die Hand geben“, hieß es in der Absage des städtischen Verkehrsbetriebs auf Vogts Bewerbung.

Die Münchner waren indes begeistert von der resoluten, 1,57 Meter kleinen Fahrerin. „Ich war bekannt wie ein bunter Hund. An jeder Haltestelle haben mich Fahrgäste angesprochen. Da habe ich mir gedacht: Mensch, jetzt bist du berühmt!“ Die Pionierin hinterm Lenkrad stand ihren männlichen Kollegen in nichts nach. „Lange Linien mit viel Verkehr und vielen Fahrgästen waren mein Ding. Die Fahrt vom Harras rauf zum Ratzingerplatz war mir die komplizierteste und liebste Linie.“ Mit Handbremse bei Schnee und Eis am Candidberg anfahren – für Vogt gab es nichts Schöneres.

Später wechselte sie gemeinsam mit ihrem Mann in den Fernreiseverkehr. Gemeinsam fuhren sie viel nach Südtirol und brachten auch ab und zu Gastarbeiter von München nach Ex-Jugoslawien. „Es waren harte Fahrten. Die Straßen waren schlecht ausgebaut, und die Leute fuhren wie gesengte Säue.“

Dann hatte Ingrid Vogt einen schweren Unfall. Das Drama ereignete sich nicht auf einer der Strecken im Ausland, sondern in Regensburg: „Ein VW-Bus ist in meinen Bus gekracht. Ich wurde herausgeschleudert. Der andere Fahrer war sofort tot.“ Zum Glück hatte sie keine Fahrgäste an Bord, doch sie selbst hatte es schwer erwischt. Mehrere Rippen waren gebrochen, das Becken angebrochen, ihre rechte Hand war fast abgerissen worden. Hinzu kamen seelische Wunden. „Ich konnte lange nicht realisieren, was passiert war.“ Als sie wieder genesen war, setzte sie sich wieder hinters Steuer. „Hätte ich das nicht getan, hätte ich es nie mehr gemacht.“

Erst 2005 hängte sie ihren Traumberuf an den Nagel und fing einen Bürojob an, in dem sie bis zur Rente tätig war. „Mein Mann und ich wollten mehr Zeit füreinander haben.“ Ihr Mann Siegfried starb 2016. Drei Jahre später übergab sie ihr Auto – einen Ford mit 180 PS – schweren Herzens an ihren Nachbarn. „Er hat mir angeboten, es jederzeit nutzen zu dürfen, wenn er es nicht braucht.“ Vogt fuhr kein einziges Mal mehr. „Sonst hätte ich den Absprung nicht geschafft. Autofahren ist für mich vorbei. Fertig.“

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