Gefahr im Glas

von Redaktion

VON LEONI BILLINA

Es ist Freitagabend. Jessica trifft sich mit ihrer Freundin in einem Restaurant. Zum Essen genießen die beiden ein Glas Wein, dann geht es weiter in eine Bar in der Innenstadt. Auch dort bestellen sie einen Wein – und einen Tequila. „Bis dahin war alles noch gut“, erzählt Jessica. Sie lernen in der Bar ein paar Leute kennen, ziehen mit ihnen weiter in einen Club in der Nähe. Dann plötzlich – kompletter Filmriss.

Das Nächste, an das sich Jessica erinnern kann: Sie wacht auf, es ist 8 Uhr morgens. „Ich lag im Gang meines Wohnhauses“, erzählt die Münchnerin. Die Tasche offen, Jacke und Schuhe völlig verdreckt, „als wäre ich hingefallen“. Schnell ist ihr klar: Jemand muss ihr K.-o.-Tropfen verabreicht haben.

Ein Anruf bei ihrer Freundin bestätigt die schreckliche Vermutung: Die erzählt nämlich, dass sie in der Nacht bewusstlos auf der Toilette im Club gefunden wurde. Der halbe Abend – einfach ausgelöscht in den Erinnerungen der Frauen. „Es muss uns eigentlich jemand im Club in den ersten Drink etwas reingetan haben“, sagt Jessica. Oder schon in der Bar zuvor? Sie wissen es nicht genau.

Die Gefahr im Glas: „Unter K.-o.-Mitteln versteht man Substanzen, die geeignet sind, Personen hilflos, wehrlos oder bewusstlos zu machen, um Folgestraftaten zu ermöglichen“, erklärt Prof. Dr. Frank Mußhoff vom Forensisch Toxikologischen Centrum München. „Und häufig werden Substanzen eingesetzt, die auch noch zu Erinnerungslücken führen.“

Wie bei Jessica: Wann sie sich von ihrer Freundin getrennt hat, wie sie nach Hause gekommen ist, ob alleine oder in Begleitung, mit einem Taxi – sie hat keine Ahnung. Die K.-o.-Mittel können sich aus mehr als 100 Wirkstoffen zusammensetzen, sagt Mußhoff. Häufig verwendeten die skrupellosen Täter Schlaf- oder Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine oder GHB, auch Liquid Ecstasy genannt. Die meisten Substanzen seien nur kurz nachweisbar. Oft reagierten Betroffene zu spät, aus Schuldgefühl oder weil sie sich nicht wirklich erinnerten.

Jessica fühlt sich noch Tage später unwohl, ihr ist schwindlig, sie muss sich übergeben. „Am schlimmsten ist die psychische Belastung. Dass du einfach nicht weißt, was passiert ist.“ Und das, obwohl die beiden Frauen aufgepasst haben, gar nicht viel getrunken haben.

Als der Betreiber der Bar und der Club-Chef von dem Vorfall erfahren, sind sie schockiert. Die Mitarbeiter seien angehalten, auf auffällige Situationen zu achten, herrenlose Gläser würden weggeräumt. „Man muss immer wieder auf dieses schlimme Thema aufmerksam machen“, sagen sie.

Karl Frass ist stellvertretender Außenstellenleiter vom Weißen Ring München. Die Hilfsorganisation betreut auch Menschen, die Opfer von K.-o.-Tropfen geworden sind. „Im Schnitt kommen zwei Betroffene pro Woche zu uns“, sagt er. Die Dunkelziffer sei viel höher, zu viele Opfer schwiegen. Dabei sei Reden wichtig, sagt Frass. „Nur durch Vertrauen und Gespräche kann ein seelischer Schaden behoben werden.“ Der Weiße Ring unterstützt Betroffene beim Gang zur Polizei oder zu Untersuchungen. Und die Opfer können reden. „Wir hören zu und bezweifeln die Aussagen nicht.

Jessica und ihre Freundin haben reagiert: Sie haben Anzeige gegen unbekannt erstattet. Das Einzige, was ihnen nun bleibt, ist zu hoffen, dass Licht ins Dunkel kommt.

Artikel 5 von 6