Wir räumen den Weg frei

von Redaktion

ZUM WELTFRAUENTAG Wie sich Münchnerinnen für Gleichberechtigung in der Gesellschaft einsetzen

VON SOPHIA OBERHUBER

Vor mehr als 100 Jahren haben Textilarbeiterinnen in den USA gestreikt, um für bessere Arbeitsbedingungen und das Wahlrecht zu kämpfen. Aus dieser Demonstration entwickelte sich die Idee zum Weltfrauentag, den die Vereinten Nationen seit 1975 jährlich am 8. März begehen. Ziel ist vor allem, mehr Gleichberechtigung zu erreichen. Unter diesem Motto ruft heute auch der Stadtbund der Münchner Frauenverbände zu einer Demo auf. Am Rathaus flattern die Logo-Fahnen des Frauentags. Wir haben vorab mit sechs Frauen gesprochen, die sich besonders für die Münchner Gesellschaft einsetzen – ob im Ehrenamt oder im Beruf – und vor allem eines sind: Vorbild.

Arbeiten, wenn andere schlafen

Während die meisten Münchner um vier Uhr noch im warmen Bett liegen, treten Zuleyha Balkan und ihre Kollegen die erste Schicht an. Sie kehren Gehwege, leeren Mülleimer oder räumen Schnee. 2016 hat Balkan bei der Münchner Straßenreinigung angefangen. Damals als erste Frau, heute gibt es immerhin noch eine weitere weibliche Kollegin unter im Winter etwa 550 Mitarbeitern. „Ich musste mich als Frau erst einmal behaupten und den Kollegen zeigen, dass ich das Gleiche arbeiten kann“, sagt Balkan. In den vergangenen Jahren hat es die Münchnerin bis zur Vorarbeiterin gebracht. Der Stachus und das Tal sind ihr Gebiet. Das bedeutet: Menschenmassen und Touristen. „Es ist wichtig, dass wir ein schönes und sauberes Bild von München zeigen.“ Aber es geht Balkan nicht nur um Sauberkeit. Die 49-Jährige möchte, dass sich die Menschen wohlfühlen. Dass sie sich nicht an herumliegenden Glasscherben verletzen. Auch an die Pfoten der tierischen Stadtbewohner denkt Balkan da.

Ein Problem sei Sperrmüll, den Münchner mit „zu verschenken“ markieren und vor ihren Haustüren abstellen. Die Straßenreinigerin erinnert sich an zurückgelassene Matratzen, Stühle und Bettwäsche. „Viele Menschen denken sich, dass das ja schon irgendjemand wegmacht. Warum sollte man sich also selber darum kümmern“, sagt Balkan. Und eben diese eine Sache vermisse sie in solchen Fällen dann manchmal: Wertschätzung für ihre Arbeit, die meistens eben dann passiert, wenn sich alle anderen noch mal im Bett umdrehen.

Im Einsatz für Freiheit und Demokratie

Polina Gordienko weiß, wie es ist, in Unfreiheit zu leben. Die 23-Jährige ist in Belarus aufgewachsen. In der fünften Klasse hätte Gordienko einer regimetreuen Kinderorganisation beitreten müssen. Doch sie weigerte sich. Einige Jahre später, mit 15, zog sie zu ihrer Tante und ihrem Onkel nach München, um das deutsche Abitur zu machen, zu studieren – und der Diktatur zu entfliehen. Heute klärt Gordienko über das politische System in ihrem Heimatland auf. Sie hält Vorträge und Seminare, spricht auf Demos.

Seit vorigem Jahr sei ihr klar, „wie wenig die deutsche Öffentlichkeit über Osteuropa weiß“, sagt die Studentin und Lokalpolitikerin. Gordienko hat ukrainische Wurzeln, ist in Russland geboren und in Belarus aufgewachsen. „Es war sehr emotional, als ich die Eilmeldung zum Kriegsbeginn gesehen habe“, erinnert sich die Münchnerin. Also begann sie, Ukrainisch zu lernen und in Flüchtlingsunterkünften zu helfen. Zu Anfang sei die Solidarität mit der Ukraine sehr groß gewesen. Seit Sommer nehme sie wieder ab. Und das macht Gordienko Sorgen. „Viele Menschen verstehen nicht, dass Putin nicht aufhören wird“, so die 23-Jährige. Umso wichtiger sei jetzt politische Bildungsarbeit.

Einst Gatte jetzt Ehefrau

Sandra Höstermann-Schüttler und ihre Frau Patricia sind seit ihrer Schulzeit ein Paar. Lange Zeit, genauer gesagt bis 2010, dachte Höstermann-Schüttler, sie sei in einer Beziehung mit einem Mann. Dann outete sich ihr Partner als transident, identifizierte sich nicht mit dem männlichen Geschlecht. Seitdem ist Sandra Höstermann-Schüttler in einer Beziehung mit einer Frau. Sie setzt sich für Gleichstellung ein, organisiert den Christopher Street Day (CSD) mit und berät Angehörige von Transpersonen.

„Viele Beziehungen gehen darüber in die Brüche. Ich habe nicht eine Sekunde daran gedacht, mich zu trennen“, sagt die Münchnerin. Für sie habe sich nur das Äußere verändert. Das Innere, der Mensch, den sie liebt, sei gleich geblieben. „Wie in das veränderte Äußere musste ich auch darin reinwachsen, dass wir als Paar nicht mehr dem mehrheitlichen Bild entsprechen.“ Ihre Ehefrau sei anfangs vereinzelt auch beleidigt worden.

Die Beziehung hat das überdauert. „Wir wollen anderen Menschen Mut machen“, sagt Höstermann-Schüttler. So hat sie eine Selbsthilfegruppe gegründet. Dann ist da noch die Arbeit im Verein Trans-Ident und beim CSD. Die 48-Jährige kämpft dafür, dass in München ein Raum für nichtbinäre Menschen entsteht. Zwei Stunden pro Tag gehen an ihr Ehrenamt. All das sei es wert, wenn sie damit Betroffenen helfen könne.

Die Anwältin der Älteren

Fast drei Jahrzehnte lang hat Elisabeth Robles-Salgado das Alten- und Servicezentrum in Thalkirchen geleitet. Seit einem Jahr ist die Sozialpädagogin nun in Rente. Für die Belange älterer Menschen in München setzt sie sich trotzdem weiter ein – als stellvertretende Vorsitzende des Seniorenbeirats.

„Die Kompetenzen von älteren Frauen werden viel zu wenig wertgeschätzt, noch weniger als bei älteren Männern“, sagt die 66-Jährige. Wichtig ist Robles-Salgado, dass die Gleichung Frau plus alt nicht automatisch arm und unbeholfen bedeute. „Es sind vor allem Seniorinnen, die sich ehrenamtlich engagieren.“ Die Münchnerin wünscht sich, dass das mehr anerkannt wird.

Mit Rentenbeginn kam für Robles-Salgado das Ende des Arbeitsalltags. „Ich bin in eine Krise gekommen. Ich habe mich gefragt, was ich nun mit all der freien Zeit, meinem Gestaltungswunsch und meiner Energie machen soll“, erzählt sie. Also kandidierte die Bogenhauserin zusätzlich zu ihrer ehrenamtlichen Arbeit als Seniorenbeirätin. Inzwischen ist sie „ziemlich beschäftigt“. Robles-Salgado fordert passgenaue Arbeitsplätze für alte Menschen. „Viele wollen auch in der Rente einige Stunden die Woche arbeiten.“ Dann ist da das Problem mit dem fehlenden altersgerechten Wohnraum und der Krise im Gesundheitssystem. Es gibt noch viel zu tun.

Sie kämpft für das Klima

An ihren ersten Klimastreik kann sich Klara Bosch gut erinnern. Damals war sie in der neunten Klasse. Dem Lehrer sagte die Münchnerin, sie gehe bloß auf die Toilette. Stattdessen schloss sich Bosch einer Demo an. Das war 2019. Inzwischen hat Bosch ihr Abitur, organisiert Streiks und saß für Fridays for Future (FFF) im Klimarat der Stadt.

„Ich habe große Angst davor, was auf uns zukommt“, sagt Bosch. Also kämpft die 18-Jährige mit tausenden anderen jungen Menschen für Veränderung. Sowohl freitags auf der Straße, als auch im Sitzungssaal des Rathauses. Bosch hat bis vor einigen Tagen die FFF-Bewegung im Klimarat der Stadt vertreten. „Es ist ein beratendes Gremium. Wir diskutieren und verfassen Stellungnahmen.“ Jetzt hat Bosch ihr Mandat abgegeben. Sie zieht nach Rumänien, um dort für die Unesco zu arbeiten.

Trotz Abiprüfungen widmete Bosch bis zu vier Stunden ihres Tages dem Umweltschutz. Seit ihrem Abschluss ist der Aktivismus zur Vollzeittätigkeit geworden. „Wenn man aufhört, zu verdrängen, was die Klimaveränderungen bedeuten, kann man im Alltag ohne Engagement nur schwer weitermachen“, sagt die 18-Jährige. Nach dem Freiwilligendienst in Rumänien möchte Bosch Physik studieren – und sich auf Bundesebene fürs Klima einsetzen.

Die Chefin des Campus

Eva-Maria Kern wacht über einen Campus, der so groß ist, dass es darauf eigene Straßen gibt. Etwa 196 Fußballfelder umfasst das Gelände der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Es gibt Wohngebäude, Hörsäle, eine eigene Kirche, eine Teststrecke für autonomes Fahren und ein Uni-Casino als Restaurant. Seit Anfang des Jahres ist Kern Präsidentin der Uni – und damit Chefin von knapp 2000 Mitarbeitenden und 3500 Studierenden.

Bei der Institution handelt es sich zwar um eine Universität der Bundeswehr, die Studiengänge sind aber nicht militärisch. Auch zivile Studierende können sich einschreiben. Die sind aber in der Minderheit. So wie Frauen. Sie machen, anders als zum Beispiel an der LMU, nur etwa 19 Prozent aus. „Die Verteilung gestaltet sich anders, weil wir die Heimat der Offiziersanwärter sind“, sagt Kern. Wesentlich mehr Männer als Frauen schlagen diese Laufbahn ein. „Da ist noch viel Potenzial. Denn es ist sicher ein Berufsfeld, das auch für Frauen viele Perspektiven eröffnet.“

Vor 50 Jahren ist die Universität gegründet worden. Besonders in den vergangenen 15 Jahren seien Lehre und Forschung ausgebaut worden, so Kern. Maßgeblich daran beteiligt: ihre Vorgängerin, Merith Niehuss. „Sie war die erste weibliche Universitätspräsidentin in Bayern“, erzählt Kern. Nun lenkt mit Kern erneut eine Frau die Geschicke der Institution. Ihr Ziel ist es, die Uni noch sichtbarer zu machen.

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